Suche
Close this search box.
Startseite> Fortbildung> consilium> Podcast> Podcast - Pädiatrie> consilium - der Pädiatrie-Podcast - Folge 34

consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #34 - 22.09.2023

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Chronische Bauchschmerzen im Wechselspiel von Darm und Hirn

 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit:

Dr. Martin Claßen.

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: „Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!“ So starte ich normalerweise meinen Podcast. Heute kann ich auch noch sagen: „Herzlich willkommen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer“, denn heute ist Premiere für das neue Hybrid-Format. Wir machen einen Podcast. Sie dürfen uns dabei zuschauen, und Sie dürfen danach live Fragen stellen, beziehungsweise Sie dürfen uns schon während des Podcasts Fragen zusenden, und nachher wird unser Experte die Fragen live beantworten. Der Podcast ist vor ungefähr anderthalb Jahren entstanden. Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, allen Beteiligten einmal kurz zu danken. Zunächst einmal möchte ich Philipp Zöller für die Idee danken, dass er gesagt hat: ‚Mensch, wollen wir nicht mal einen Podcast versuchen?‘ Wir hatten uns immer wieder mal unterhalten darüber, dass wir beide dieses Format gut finden, und dann kam von ihm der Impuls zu sagen: ‚Lass es uns doch mal machen!‘ Vielen Dank für den Impuls und vielen Dank auch dafür, dass ich als Host hier zur Verfügung stehen darf. Hinter diesem Podcast steht aber natürlich auch ein Team, und dieses Team besteht vor allem aus Frau Dr. Kristin Brendel-Walter, die ganz viel koordiniert, ganz viel für die Organisation zuständig ist, aber auch für die Inhalte und dafür, dass wir immer wieder neue, interessante Gäste für Sie finden. Lange Mitglied in dem Team war Denise Kowalczyk, die sich sehr, sehr gekümmert hat, mittlerweile die Firma verlassen hat und mittlerweile Frau Heike Mumm, die als Lektorin uns immer gute Zusammenfassungen der Vorgespräche schreibt und auch da sehr hilfreich ist. Vielen, vielen herzlichen Dank! Ohne diesen ganzen Support würde dieser Podcast nicht gut funktionieren. Und der Podcast würde natürlich auch nicht funktionieren, wenn wir nicht eine Produktionsfirma hätten, die das einfach sensationell technisch unterstützt. Da möchte ich mich ganz herzlich bei allen Beteiligten bei Podstars bedanken. Das ist eine ganze Reihe von Personen gewesen. Momentan werden wir betreut von Joyce van der Werf. Vielen Dank, Joyce, dass du das alles so wunderbar organisierst und vielleicht noch stellvertretend die beiden Tontechniker Dominik war der Erste, Jannik war der Tontechniker, der zu uns zuletzt immer wieder betreut hat. Auch da nochmal herzlichen Dank an die Podstars. Das Ganze funktioniert aber natürlich überhaupt gar nicht, wenn es nicht Gäste gäbe. Wir hatten schon einen Podcast und haben über Mikrobiom gesprochen. Martin Claßen ist Kinder- und Jugendarzt. Er ist ein renommierter Kinder-Gastroenterologe, war langjährig Chefarzt der Kinderklinik Links der Weser und dann auch der Kinderklinik Bremen Mitte. Er ist Herausgeber der Pädiatrie, des Klinikleitfaden und überhaupt ein ganz agiler Kinder-Gastroenterologe und sicher einer der Menschen, die man im Zweifelsfall immer fragt. Herzlich willkommen, Martin!

 

Martin Claßen: Lieber Axel, es ist mir eine große Freude und Ehre, noch einmal da sein zu dürfen, und ein wichtiges Thema natürlich heute!

 

Axel Enninger: Genau unser wichtiges Thema ist tatsächlich ein Thema, mit dem wir beide uns jeden Tag beschäftigen. Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten war ein Thema. Wir wollen das Thema aber ein bisschen „aufbohren“. Wir wollen über funktionelle Bauchschmerzen reden. Da ist eine Frage immer die Frage nach Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. Aber wir müssen natürlich auch Antworten dafür haben, wenn es denn keine Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten sind. Wie gehen wir damit um, und wie gehen wir überhaupt vor? Vielleicht einfach einmal vorneweg: Wann reden wir über chronische Bauchschmerzen?

 

Chronische Bauchschmerzen sind in der Praxis abklärbar

Martin Claßen: Das kann man ja unterschiedlich definieren. Für mich sind es so ab 6 Wochen / 2 Monate. Die verschiedenen Rom-Definitionen, es gibt ja mittlerweile die 4. Definition, sagt nach einem Monat erst einmal, wenn die Patienten da sind und sagen: ‚Mein Kind hat so lange Bauchschmerzen.‘ Dann ist es ein Thema für uns. Das muss abgegrenzt werden von akuten Infektionen, und das ist, glaube ich, klinisch mit Erfahrung gut zu machen.

 

Axel Enninger: In aller Regel wollen wir keine Kinder sehen, die, sage ich mal, 3 Wochen Bauchschmerzen haben. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es spontan wieder verschwindet. Das sind keine Kandidatinnen und Kandidaten, die in unsere Sprechstunden gehören.

 

Martin Claßen: Genau, aber wir wollen natürlich heute auch gerne eine wichtige Botschaft weitertragen, dass rezidivierende Bauchschmerzen auch von allgemeinen Kinderärztinnen und Kinderärzten abgeklärt werden können. Wir wollen nicht alle Kinder in der Spezialsprechstunde haben. Wir würden heute gerne natürlich auch die Botschaft weitergeben, dass man mit einfachen Mitteln auch rezidivierende oder chronische Bauchschmerzen abklären kann und dass die meisten diagnostischen Schritte gut in der Kinderarztpraxis möglich sind.

 

Axel Enninger: Wir hatten uns im Vorfeld ein bisschen überlegt, wie nähern wir uns diesem Thema, und wir haben gedacht, wir machen es am besten anhand von Fällen. Damit kann sich jeder ein bisschen identifizieren. Wir haben ein paar Fälle konstruiert. Lass mich mal starten mit einem 5-jährigen Jungen, der mit rezidivierenden Bauchschmerzen kommt, sagen wir, die gehen seit zwei Monaten. Die Eltern berichten, dass der Bauch immer wieder mal ziemlich dick sei und dass immer wieder mal – nicht jeden Tag, aber immer wieder mal – doch die Stühle auffällig seien. Das mal als Start. Und jetzt ist die Frage: Wie näherst du dich diesem Problem?

 

Mit Fragebogen Red Flags erkennen, Eltern können „alles loswerden“

Martin Claßen: Also, das Entscheidende zunächst mal ist, eine gute Anamnese zu machen und das Kind natürlich klinisch zu beurteilen. Das haben wir auch in der Reizdarm-Leitlinie, daran waren wir beide auch beteiligt. Da gibt es ein großes Kapitel über Bauchschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Die Werkzeuge, die man für die Diagnostik brauchen kann, haben wir da benannt und die Anamnese gehört mit dazu. Vielleicht noch mal der Hinweis, dass auch ein guter Bauchschmerz-Anamnesebogen, wo die wichtigen Red Flags abgefragt werden, auf der Webseite, also www.gpge.eu herunterzuladen ist. Das ist gut, damit man die wichtigen Warnzeichen für eine organische Pathologie abfragt. Das wäre der erste Punkt. Der zweite Punkt…

 

Axel Enninger: Lass mich da vielleicht noch einhaken. Der Bauchschmerz-Fragebogen ist auch deshalb sehr, sehr hilfreich, weil die Eltern das Gefühl haben, dass sie alle Punkte einmal loswerden konnten. Er ist relativ umfassend. Die Eltern können alles ankreuzen. Sie haben das Gefühl, endlich ist das alles mal irgendwo dokumentiert worden, und ehrlich gesagt macht es natürlich auch unser Leben in der Sprechstunde schneller, weil man diesen Fragebogen durchgehen kann und dann die wesentlichen Punkte sehr, sehr schnell erfasst, wenn man mit diesem Fragebogen arbeitet. Also legen wir Ihnen dringend ans Herz, www.gpge.eu ist die Adresse, wo Sie das herunterladen können. Also, wir machen natürlich eine Anamnese, das ist eh klar, aber bei den Kleinen achten wir besonders auf was?

 

Martin Claßen: Die Ernährungsanamnese und der Klassiker wäre, dass er zum Beispiel relativ große Mengen von Säften zu sich nimmt. Das ist ein häufiges Thema, gerade bei Kindern, die weiche Stühle haben und würde dann darauf hindeuten, dass der Darm nicht in der Lage ist, die großen Menge Fruchtzucker und Sorbit aufzunehmen.

 

Axel Enninger: Aber nicht nur Getränke, es können auch Süßigkeiten sein, es können auch Kaugummis sein, es können auch zuckerfreie Kaugummis sein, denn wer ein Fruchtzuckerproblem hat, hat in aller Regel auch ein Sorbitproblem.

 

Ohne große Diagnostik Fruchtzucker und Sorbit „klauen“

Martin Claßen: Genau, das brauchen wir nicht auseinander zu dividieren. Es gehört meines Erachtens zusammen. Ob man es nun Fruchtzucker-Unverträglichkeit nennt oder ob es einfach ein Missverhältnis ist, das ist so ein bisschen eine Definitionsfrage oder Philosophie. Ganz klar ist, der Fruchtzucker ist ein billiger Zucker, der Fruchtzucker ist ein sehr süßer Zucker, und der durchschnittliche Fruchtzuckerkonsum von uns Mitteleuropäern, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen, hat massiv zugenommen. Der Darm ist darauf nicht eingerichtet. Wir wissen, dass da pathophysiologisch ein Transportsystem, passiver Transporter, dahintersteckt, dieser hat eine begrenzte Kapazität. Wenn man sie überschreitet, dann gibt es eben diese Symptome. Insofern wäre bei diesem Fünfjährigen, wenn da große Mengen an Säften in der Ernährungsanamnese sind, der nächste Schritt aus meiner Sicht, ohne große Diagnostik, zunächst einmal zu beraten: ‚Machen Sie mal einen Versuch mit Reduktion der fruchtzuckerhaltigen Speisen.‘ Oft kommen sie dann nach zwei, drei Wochen und sagen: ‚Ja, es ist alles viel besser geworden.‘

 

Axel Enninger: Jetzt gibt es ja auch Hinweise darauf, dass auch Kinder und Jugendliche, wo die Anamnese gar nicht so klar ist, wenn man denen den Fruchtzucker klaut, dass es trotzdem besser wird. Was hältst du denn davon?

 

Martin Claßen: Ja, da ist wahrscheinlich auch etwas Wahres dran. Natürlich hat jede Empfehlung, die wir geben, auch immer einen hohen Placebo-Effekt. Es ist eigentlich auch klar, dass bei jeder Diätempfehlung, wenn man also einen Karenzversuch gemacht hat, dass man auf der anderen Seite auch immer ein Expositionsversuch machen muss. Es könnte ja die spontane Besserung nach einer akuten Gastroenteritis gewesen sein. Also, man muss sagen: ‚Dann, nach einer gewissen Zeit belasten Sie mal!‘ Wenn etwas passiert, geschieht dem Darm und dem Kind ja kein Schaden, wenn man belastet.

 

Atemtest oft verzichtbar?

Axel Enninger: Brauchen wir Diagnostik?

 

Martin Claßen: Ich glaube, wenn man sehr verständige Eltern hat, nein. Wobei viele irgendetwas an Diagnostik verlangen. Dann ist natürlich der Atemtest super, weil er wenig belastend ist, wenig aufwendig. Es gibt Leute, die machen gar keine Fruktose-Atemteste mehr, weil sie sagen, das ist eigentlich mit so einer Ernährungsempfehlung auch gut zu machen. Ich mache ihn immer noch. Meine Erfahrung ist, dass die adherence der Eltern auf lange Sicht besser ist.

 

Axel Enninger: Also, wir machen keine mehr. Wir hatten vorher viele gemacht, vor Corona. Wir haben während Corona die Atemtests abgeschafft, haben sie nicht wieder eingeführt, und wir haben nicht den Eindruck, dass die Versorgung jetzt so viel schlechter geworden ist. Also, wir machen keine mehr. Ich war lange von deinem Konzept überzeugt, da bin ich jetzt ausnahmsweise ein bisschen abgewichen.

 

Martin Claßen: Ja gut, man kann das sicherlich auch mit einer guten Ernährungsberatung machen, aber man muss dann wirklich in die Details gehen, wie die Süßigkeiten, klar.

 

Axel Enninger: Okay, aber da gibt es mittlerweile auch im Internet ja wirklich hervorragende Quellen, wie man sich mit Fruktose-Malabsorption ernähren kann.

 

Martin Claßen: Aber, da muss man auch nochmal vorsichtig sein, weil natürlich die Begriffe Fruktoseintoleranz und Fruktosemalabsorption durcheinandergehen. Im Prinzip könnte man von der Terminologie her von der Intoleranz sprechen. Aber der Begriff „Fruktoseintoleranz“ ist ja reserviert für eine ganz andere Krankheit, eine metabolische Erkrankungen. Wenn man das googelt, dann kriegt man eben mit, die Kinder dürfen überhaupt nicht Süßes mehr zu sich nehmen, Sacharose ist komplett verboten, und das wäre eine zu strenge Diät, die eigentlich nicht adäquat ist und dann auch wieder Verstopfung macht. Wir wissen, dass ein großer Teil von Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen eine okkulte Verstopfung hat. Auch das muss man sicher im Hinterkopf haben. Also das heißt, begrenzter Diätversuch ja, aber dann Re-Exposition aus meiner Sicht.

 

Axel Enninger: Okay. Und Kirche im Dorf lassen: keine schlimme Krankheit. Ich sag auch immer, wenn das Kind im Sommer vor der Eistafel steht und das Capri-Eis essen will, Entschuldigung für die Werbung jetzt, und es weiß, danach krieg ich Bauchweh, dann kann das Kind selbst entscheiden: Verzicht auf das Eis oder ein bisschen Bauchweh. Harmlos, kann man einfach so machen. Jetzt verändern wir den Fall einfach ein bisschen. Das Kind ist ein bisschen älter, und es kommt auch Somalia. Was verändert da dein Vorgehen?

 

Martin Claßen: Also, einmal muss man natürlich bei solchen Vorgeschichten auch nochmal an psychische Traumata usw. denken. Das lassen wir heute jetzt mal eher heraus. Das sind eigentlich Patienten, die relativ häufig andere Ursachen für Bauchschmerzen haben. Die eine Sache ist natürlich chronische Parasiteninfektion, sie haben auch häufiger, muss man sagen, Helicobacter-Gastritis. Das heißt, wenn man Oberbauchschmerz hat, Übelkeit, Erbrechen, vielleicht noch eine Anämie, dann würde man da eher eine Gastroskopie machen.

 

Axel Enninger: Aber dicker, geblähter Bauch und weiche Stühle gar nicht so… 

 

Adulte Laktose-Unverträglichkeit ist eher die Regel

Martin Claßen: Nein, das stimmt. Genau. Aber das sind natürlich Menschen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines adulten Laktasemangels. Wir wissen ja, dass in Afrika und auch in Asien, Fernost, die meisten Menschen irgendwann im Laufe ihres Lebens die Fähigkeit verlieren, Laktose zu verdauen. Also die Laktase wird herunterreguliert. Und wenn so ein Mensch dann nach Deutschland kommt und die deutschen Ernährungsgewohnheiten übernimmt oder die mitteleuropäischen Ernährungsgewohnheiten, mit vielen Milchprodukten, dann bekommen sie Probleme. Das Eis ist an jeder Ecke zu kaufen, die Schokolade guckt einen an, und wenn in der Ernährungsanamnese bei so einem Menschen, einem Kind oder Jugendlichen, Milchprodukte in großen Mengen drin sind, dann hat man manchmal das Problem gefunden.

 

Axel Enninger: Gilt klassisch auch für alle Menschen aus Südostasien. Ganz, ganz häufiges Thema, Menschen aus Vietnam, da gilt genau das Gleiche. Also nur nochmal: Bei der Laktose sind wir hellhäutigen Mitteleuropäer, wenn man die Weltbevölkerung anguckt, die Ausnahme. Die Regel ist, dass man die Laktose irgendwann nur noch in geringeren Mengen verträgt. Das kann man ruhig festhalten, und von daher ist ja auch eine Laktose-Unverträglichkeit nichts Schlimmes. Und auch da ist die Frage, wie gehen wir mit in der Ernährungsempfehlung um?

 

Ein Aspekt ist viszerale Hypersensitivität

Martin Claßen: Also, wir wissen mittlerweile, dass, wenn man eine Gruppe von Menschen mit einem eindeutigen Laktasemangel untersucht, nicht jeder Bauchschmerzen kriegt, wenn er eine gewisse Menge Laktose zu sich nimmt. Das heißt, es gibt eine zweite Komponente, die für die Beschwerden mitverantwortlich ist und das ist eine viszerale Hypersensitivität. Das heißt, wie geht der Darm – oder der Mensch mit diesem Darm – mit einer Dehnung der Darmwand um? Geht das Gas, das da entsteht, auf anderem Wege ab? Da gibt es mittlerweile sehr schöne Untersuchungen aus China, die zeigen, dass nicht alle Menschen mit einem Laktasemangel eine Laktoseintoleranz haben, also klinische Symptome bekommen. Wie viel wird vertragen? Käse geht immer Joghurt geht bei den meisten Menschen, muss man sagen.

 

Axel Enninger: Hartkäse.

 

Martin Claßen: Hartkäse, genau. Joghurt geht bei den meisten Menschen, weil die Laktose da überwiegend vorher gespalten wird. Und es gibt die Möglichkeit, laktosearme Produkte zu kaufen. Es gibt die Möglichkeit, Laktase zu den Mahlzeiten zu essen. Also, wenn man gerne ins italienische Eiscafé möchte, dann nimmt man eben Laktasekapseln mit und isst die dazu, und damit ist es eigentlich auch gut.

 

Axel Enninger: Genau und in aller Regel ist es auch da ein Mengenthema. Rund ums Mittelmeer ist der Laktasemangel deutlich häufiger. Es gäb längst keinen Cappuccino mehr, wenn die Italiener alle keinen Cappuccino mehr vertragen würden. Also, kleine Mengen Milch gehen in aller Regel. Auch da muss man die Kirche im Dorf lassen.

 

Kein Laktoseproblem bei Säuglingen

Martin Claßen: Aber wenn ich das nochmal zur Laktoseintoleranz ergänzen darf, die Laktoseintoleranz betrifft in der Regel nie Säuglinge. Das ist ein Mangel, der sich typischerweise im Alter von 6–10 Jahren entwickelt. Das heißt, Kleinkinder mit Laktoseintoleranz sind eigentlich eher die Ausnahme und Säuglinge, dass es ein schweres Krankheitsbild ist und sie eigentlich schon bei der Milchernährung schwerste Durchfälle bekommen…

 

Axel Enninger: Wie viele hast du gesehen?

 

Martin Claßen: Ich habe keinen gesehen.

 

Axel Enninger: Ich habe auch noch keinen gesehen. Das ist genau der Punkt. Konnataler Laktasemangel, das lernen wir alle, das haben wir Kinder-Gastroenterologen irgendwie immer drauf als Differenzialdiagnose von konnataler Diarrhöe. Ich kenne keinen, und ich kenne auch keinen Kinder-Gastroenterologen, der mir sagen kann, er hat schon mal ein Kind gesehen. Also, bitte, bitte, bitte, Laktasemangel beziehungsweise Laktose-Unverträglichkeit bei Säuglingen: Streichen Sie das! Wenn die Milch nicht vertragen wird, dann ist es eher ein Kuhmilcheiweiß-Problem und nicht ein Laktoseproblem.

 

Martin Claßen: Also, nach Rotavirus-Enteritis gibt’s das mal passager, aber in der Regel auch nicht so, dass man eine Diät machen muss.

 

An ausreichend Kalziumzufuhr denken

Axel Enninger: Ja. Okay, also das ist nochmal wichtig. Mir ist nochmal wichtig bei dem Thema „Ich verzichte auf Milch“, entweder weil ich eine Laktose-Unverträglichkeit habe oder weil ich sonst keine Milch mehr nehmen muss, ist das Thema Kalzium. Magst du da noch ein bisserl was dazu sagen?

 

Martin Claßen: Also, meine Erfahrung bei der milchfreien oder milcharmen Ernährung ist – wir haben das auch mal eine Zeitlang systematisch von unserer Diätassistentin auswerten lassen – dass es immer kalziumdefizient ist. Auch mit kalziumreichen Mineralwasser usw. kann man es oft nicht ausgleichen. Gerade die kleinen Kinder oder auch junge Schulkinder brauchen hohe Mengen an Kalzium. Im Zweifel kann man das auch substituieren mit 500 mg pro Tag zum Beispiel, denn bis zum Ende des Jugendalters oder bis zum jungen Erwachsenenalter haben wir ja unseren Peak der Knochenmasse erreicht, und wenn wir da nicht aufpassen, das sehen wir Pädiater dann natürlich nicht mehr, dann hat man die Osteoporose schon mit 55 Jahren oder so, und das wollen wir natürlich nicht. Also auch da muss man beraten. Bei einer kuhmilchfreien Ernährung, aus welchem Grund auch immer, muss man über Kalziumzufuhr informieren.

 

Axel Enninger: Genau. Kalziumreiche Mineralwässer reichen in alle Regeln nicht. Wenn man sie pur trinkt, rauschen sie einfach so durch. Deswegen muss man auch da aufpassen. Das ist ein Baustein! Wichtig ist, diese pflanzenbasierten Getränke, die es momentan gibt, Hafer, Mandel, Reis, die gibt’s in kalziumsubstituiert und nicht-kalziumsubstituiert. Auch da wichtig, dass man darauf achtet und eben aktuell: Die Bioprodukte dürfen nicht kalziumsubstituiert sein. Ganz wichtig, wenn darauf zu achten. Also Kalzium ist, glaube ich, uns beiden ein hohes Anliegen, wenn man die Laktose rausschmeißt.

 

Martin Claßen: Und Vitamin D natürlich im Zweifel auch.

 

Axel Enninger: Ja. Dann als nächster Fall ein Klassiker. Einer kommt mit einer dicken, dicken Befundmappe, die sehen wir ja häufig. Die siehst du, die sehe ich. Und da ist schon alles gemacht. Da gibt’s einen Laktose-Atemtest, da gibt’s eine Fruktose-Atemtest, da gibt’s Blutuntersuchungen, Fruktose wird weggelassen, Laktose wird weggelassen, da gab’s eine Diätberatung, Histamin wird weggelassen. Das Kind hat immer noch Beschwerden, und jetzt sitzt es bei uns in der Sprechstunde.

 

Parameter gemäß Leitlinie, aber nichts sonst

Martin Claßen: Deswegen kommen sie zu uns. Die erste Botschaft ist natürlich: Dann kann es ja das alles nicht sein, wenn es unter Karenz nicht besser wird. Man muss relativ früh in der Beratung dann auch anfangen, über funktionelle Beschwerden zu beraten. Natürlich gucke ich mir die Befunde an, und gucke, ist denn alles gemacht? Wir haben in der Reizdarm-Leitlinie ein relativ schmales Programm vorgegeben. Da ist einmal die Calprotectin-Bestimmung im Stuhl mit drin, da ist einmal die Transglutaminase im Blut mit drin, um eine Zöliakie auszuschließen, Gesamt-IgA und ein paar wenige Parameter. Das heißt, wenn das alles gemacht ist, dann setze ich mich hin und spreche über funktionelle Beschwerden.

 

Axel Enninger: Wollen wir kurz noch sagen, warum uns das Calprotectin so wichtig war in der Reizdarm-Leitlinie?

 

Martin Claßen: Weil wir natürlich keine CED übersehen wollen. Also, es gibt einzelne Formen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, speziell der Dünndarm-Crohn, der nicht mit Durchfall einhergeht, der nicht mit Blut im Stuhl einhergeht. Deswegen muss man bei Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen immer an entzündliche Darmerkrankungen denken, und auch wenn die Symptome nicht 100 % passen. Sie müssen keine Gewichtsabnahme haben, sondern die Bauchschmerzen können die erste Manifestation sein, und das Calprotectin ist sehr sensibel. Natürlich nicht spezifisch, das muss man auf der anderen Seite auch sagen.

 

Axel Enninger: Aber hoher negativer Vorhersagewert.

 

Martin Claßen: Genau.

 

Axel Enninger: Ich glaube, das ist wichtig. Wenn Calprotectin normal ist, ist die Wahrscheinlichkeit nicht wahnsinnig hoch, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung zu haben. Wenn’s hoch ist, kann es auch immer noch eine Infektion sein. Da „weiß“ das Calprotectin nicht, warum es hochgeht. Aber negatives Calprotectin für uns Kinder-Gastroenterologen immer ein ganz wichtiger Parameter. Also, Calprotectin war jetzt auch negativ, und jetzt sagt die Mutter, wann gucken Sie denn endlich rein? Wann machen wir denn mal einen Kernspin vom Bauch?

 

Martin Claßen: Ja, dann muss man, glaube ich, erst einmal ausführlich auf die Genese funktioneller Beschwerden eingehen. Wir sagen ja, das funktionelle Bauchschmerzen und/oder Reizdarmsyndrom auf einer gestörten Interaktion zwischen Darm und Hirn beruhen. Eine viszerale Hypersensitivität, also besondere Empfindlichkeit für Dehnung des Darms ist eine Komponente. Veränderungen des Mikrobioms ist eine Komponente. Nochmal der Verweis auf unseren Podcast vor einigen Monaten [Anm. der Redaktion: Folge #25 Mikrobiom mit Dr. Martin Claßen, https://www.infectopharm.com/fortbildung/consilium/podcast/podcast-paediatrie/]. Aber es ist eben auch klar, dass Stress ein Faktor ist, und wenn man fragt, dann hört man eigentlich auch von den Familien: ‚Ja, in den Phasen, wo Klausuren geschrieben werden, ist es doch mehr.‘ Und wenn man sie in diesem Punkt abholt und überzeugt, dann hat man natürlich auch eine therapeutische Möglichkeit.

 

Axel Enninger: Also, wobei ich dann umgekehrt immer wieder mal höre: ‚Aber es ist auch in den Ferien, also kann es nichts mit Stress zu tun haben.‘ Das hört man als Gegenargument häufig.

 

Martin Claßen: Es ist eine Komponente. Stress, ist eine Komponente, aber nicht die alleinige Ursache. Es ist kein rein psychisches Problem. Das ist eine Botschaft, die ich gerne heute loswerden will: Die Behandlung von Kindern mit funktionellen Beschwerden und/oder Reizdarmsyndrom ist eine typische ärztliche Aufgabe. Es ist nichts, wo wir jetzt dann sagen: ‚Wir haben nichts Organisches gefunden, gehen Sie mal zur Psychologin‘, sondern wir müssen erst einmal darüber beraten, wie es entsteht. Wir könnten jetzt noch eine ganze Podcastfolge über die molekularen Mechanismen machen. Da gibt es ja viele Dinge, die man nachweisen kann: Vermehrung von Mastzellen in der Darmwand, mehr Schmerzrezeptoren in der Darmwand, also viele verschiedene Veränderungen, andere Mikrobiom-Signaturen. Aber diese gestörte Interaktion Darm–Hirn muss man eben erklären und dann übergehen zu den Möglichkeiten, die man therapeutisch hat. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser Begriff „Reizdarm“ hilfreicher ist als „funktionelle Bauchschmerzen“. Das ist etwas, was quasi auch in der Werbung vor der Tagesschau immer kommt. Das haben die Leute schon mal gehört. Es gibt irgendjemand in der Familie, der eine Reizdarmdiagnose hat. Damit können die Familien mehr anfangen. Deswegen ziehe sie vor, auch wenn sie vielleicht nach Rom-IV nicht so ganz eindeutig wäre.

 

Axel Enninger: Da muss man vielleicht festhalten, bei Rom IV ist die Unterscheidung eben die: Reizdarm sind Bauchschmerzen in Assoziation mit Stuhlentleerung zu dünn oder zu fest. Das ist „Reizdarm“. Und wenn es keine Assoziation zur Stuhlentleerung gibt, sind es „funktionelle Bauchschmerzen“. So würde Rom IV streng sein. Ich unterscheide das tatsächlich. Du subsummierst es unter „Reizdarm“, weil du die Kommunikation dann einfacher findest.

 

Martin Claßen: Genau, genau.

 

Axel Enninger: Okay!

 

Martin Claßen: Wenn man dafür ein Verständnis findet und ihnen auch Möglichkeiten an die Hand gibt, damit umzugehen, dann können sie es auch akzeptieren, dass man nicht gleich endoskopiert oder ein MRT macht.

 

Axel Enninger: Ich erläutere immer noch Hirn–Darm-Achse, Darm–Hirn-Achse. Hirn–Darm-Achse erläutere ich immer damit: Man muss einen Vortrag halten, und man rennt zweimal häufiger auf die Toilette. Klassisch für Hirn-Darm-Achse. Und Darm–Hirn-Achse erkläre ich immer positiv: Man ist frisch und heiß verliebt, es grummelt im Bauch. Es gibt ein Signal ans Gehirn, und man bewertet es positiv, sozusagen, die Darm–Hirn-Achse. Und dann sage ich, das ist so ähnlich wie dieses Signal, nur dass es dann eben nicht positiv bewertet wird, sondern negativ. Ich finde, es gehört schon dazu, dass man diese Hirn–Darm- / Darm–Hirn-Achse immer auch noch ein bisschen erläutert. Es ist dann eigentlich vielen Leuten plausibel.

 

Martin Claßen: Genau. Natürlich diskutieren wir auch die Vorbefunde. Also ich gucke mir die schon an. Was man zum Beispiel zur Histaminintoleranz ja sagen kann, dass es keine Evidenz dafür gibt. Es gibt zumindest für die Pädiatrie überhaupt keine Beweise, dass das eine Rolle spielt. Die Diagnostik, die auch von Heilpraktikern angeboten wird, die Bestimmung dieses Enzyms DAO, Diaminoxidase, hat überhaupt nichts zu tun mit dem, was im Darm passiert. Wenn man sie doppelblind exponiert, dann kann man es, glaube ich, auch würfeln, ob sie Symptome kriegen oder nicht, abgesehen davon, dass ja die normale Kinderernährung nicht so richtig histaminreich ist.

 

Eine einzige Histaminunverträglichkeit in über 20 Jahren

Axel Enninger: Das wollen wir noch mal festhalten: Die Enzymdiagnostik ist Unsinn. Es gibt durchaus auch ärztliche Kollegen, die es immer wieder nochmal machen. Es hilft niemandem und verwirrt nur alle. Wenn da ein kleines Sternchen daneben ist und die Eltern diesen Befund kriegen, dann gehen sie nach Hause und denken: ‚Ah, da ist ja doch irgendetwas mit einer Histaminunverträglichkeit.‘ Ich hab genau eine Jugendliche mit einer Histaminunverträglichkeit diagnostiziert. Ernährungsanamnese gemacht. Es war voller köstlicher italienischer Speisen, es war Prosecco, es war alter, lange gereifter Käse, es war Salami, es war Schinken, es waren getrocknete Tomaten, alles voller Histamin. Und ich sage mal: Nur, wenn ihr eine Ernährungsanamnese macht und denkt, da möchtet ihr gerne mal zum Essen eingeladen werden, dürft ihr überhaupt an eine Histaminunverträglichkeit denken. Wir haben tatsächlich die Ernährung ein bisschen modifiziert und die Beschwerden waren weg. Das war aber meine Einzige, n = 1, in paarundzwanzig Jahren Kinder-Gastroenterologie, also seltene Diagnose, eigentlich nicht drüber nachdenken! Noch etwas, was wir auch häufig sehen, also jedenfalls, was ich häufig sehe, sind so kleine Bücher, obendrauf auf der obersten Kopfzeile immer der Name des Patienten und dann Bestimmung von IgG4-Antikörpern bezüglich Nahrungsmitteln. Das sind Dinge, die mega nerven. Erklärt doch mal, warum die uns so nerven!

 

Martin Claßen: Weil es überhaupt keine Korrelation zu Beschwerden gibt, sondern eigentlich Ausdruck dessen ist, dass wenn Nahrungsmittel regelmäßig aufgenommen werden, es zum Kontakt der Nahrungsmittelproteine mit dem Immunsystem kommt. Dann wird auch eine gewisse Menge IgG4-Antikörper gebildet. Also letztlich spiegelt es wider, was dieses Kind oder dieser Mensch in relevanten Mengen zu sich nimmt. Vielleicht noch ein bisschen Permeabilitätssteigerung dabei gewesen.

 

Axel Enninger: Wie gehst du damit um?

 

Martin Claßen: Ich erkläre, dass es keine Evidenz hat und dass wir diese Befunde nicht werten sollten.

 

Axel Enninger: Also, ich mache das , dass ich sage: ‚Lassen Sie es mal zu und sagen Sie mir die 5 Lebensmittel, die Ihr Kind am allermeisten und regelmäßig gegessen hat.‘ Die sind praktisch immer dabei. Und dann versuche ich es auch so zu erläutern und zu sagen: ‚Wissen Sie, das ist ein Zeichen der Toleranzentwicklung, das ist eigentlich etwas Gutes.‘ Von daher: Bitte nicht machen. Also, Diaminoxidase nicht machen und bitte keine IgG4-Antikörper machen, verwirrt nur alle!

 

Martin Claßen: Aber die andere Diagnostik eben komplett machen. Ich habe noch eine Stuhluntersuchung vergessen, das sind die Lamblien. Das haben wir auch in der Leitlinie empfohlen, weil es doch einige Kinder mit chronischen Infektionen gibt und wenn wir PCR machen, dann findet man die auch.

 

Axel Enninger: Und du hattest es vorhin im Nebensatz schon gesagt. Dieser Patient, den wir jetzt hier konstruiert haben, der macht ja jetzt eine laktosereduzierte Ernährung, der macht eine fruktosereduzierte Ernährung, der macht eine histaminarme Ernährung. Es hat nach ein paar Wochen nichts gebracht. Was sagst du denen?

 

Nicht selten chronische Verstopfung

Martin Claßen: Dass man versuchen muss, wieder auf eine normale Ernährung zu gehen. Ich gucke sie natürlich an, und ich mache auch ein Ultraschall. Also, ich verweise noch mal auf die Daten aus Amsterdam. Sie haben einmal prospektiv 200 Kinder mit Bauchschmerzen untersucht und viele, viele Dinge gefunden, unter anderem einen relevanten Prozentsatz von Kindern mit einer okkulten Verstopfung. Darüber müssen wir uns auch im Klaren sein, dass die Stuhlanamnese von einem 8-Jährigen oder so, nicht das zeigt, was wahrscheinlich in Wirklichkeit passiert. Die meisten wissen es nicht, auch die Eltern kriegen nicht alles mit. Deswegen, der Ultraschall hilft auch, und den Unterbauchquerschnitt mit dem Rektumdurchmesser gucke ich mir auch immer an, denn eine fruktosearme Ernährung, die jemand schon eine Zeitlang gemacht hat, könnte natürlich auch wieder zur Verstopfung geführt haben.

 

Axel Enninger: Rektumweite?

 

Martin Claßen: Ja, es hängt etwas davon ab, wann er zur Toilette war und wie alt das Kind ist, also ab 4 cm fang ich an, mir Gedanken zu machen.

 

Axel Enninger: Okay, aber zu sagen, das Kind hat eine chronische Verstopfung, ist total unpopulär im Vergleich dazu zu sagen: ‚Mein Kind hat eine Laktoseunverträglichkeit oder was auch immer.‘

 

Es gibt Wege bei funktionellen Bauchschmerzen

Martin Claßen: Genau. Oder ein leaky gut oder was auch immer.

 

Axel Enninger: Naja, aber eigentlich ist es ja praktisch, wenn wir eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit finden. Dann haben wir etwas zu tun, dann haben wir eine Ernährungsberatung, die wir geben können. Da haben wir wenigstens etwas gefunden. Wenn wir das aber jetzt nicht haben, dann müssen wir über funktionelle Bauchschmerzen reden. Und da ist ja die Frage: ‚Oh Mann, jetzt muss ich so kompliziert und so lange reden.‘ Was sagst du dazu?

 

Martin Claßen: Ja. Ich will noch sagen, dass es auch wichtig ist, nicht zu viele, ich würde es jetzt mal „Hintertürchen“ nennen, für Eltern zu öffnen, die so sehr auf Organbefunde fokussiert sind. Es sind ja typischerweise Akademikerfamilien, oft auch mit Sorgen über ihre Kinder. Wenn man denen jetzt irgendeinen Strohhalm reicht, und der heißt zum Beispiel Histaminintoleranz oder leaky gut, dann fahren sie völlig drauf ab und lesen abendelang das Internet durch. Wenn das eine nicht zutreffende Diagnose ist, verbaut man die Möglichkeit, sich mit einer sinnvollen Strategie für ein funktionelles Bauchschmerzproblem auseinanderzusetzen. Es gibt Möglichkeiten, das wissen wir mittlerweile. Wir wissen, dass eben kognitiv-verhaltenstherapeutische Programme wirksam sind, und das Kognitive ist ja das, was wir übernehmen müssen. Wir müssen über diese Darm–Hirn-Achse sprechen, wir müssen je nach Alter des Kindes auch über die Wahrnehmung von Darmdehnung sprechen und solche Dinge. Das ist etwas, wo es auch Hilfsmittel gibt. Ich verweise auf die Bauchschmerz-Schulungen, die an manchen Stellen gemacht werden. Das haben zum Beispiel die Kollegen aus Krefeld publiziert, der Krefelder Bauchschmerz-Tag, wo kompakt darüber informiert wird. Es gibt mittlerweile ganz gute Videos dazu. Wir sind im Moment mit einem Konsortium unter der Ägide des Schmerzzentrums Datteln dabei, eine Website zu evaluieren zum Thema Reizdarm und funktionellen Bauchschmerz. Es ist noch nicht so weit, dass wir es jetzt verlinken können, aber es wird irgendwann, Ende des Jahres hoffentlich, dann online gestellt werden. Also, es gibt eine ganze Reihe von Ansätzen, und ich glaube, das Wichtigste ist die ärztliche Überzeugungskraft, mit den Leuten zu reden und auch mit den Kindern zu reden. Ich male manchmal kleine Bildchen. Bei vielen Kindern geht es mit einer akuten Gastroenteritis los. Das heißt, die Schmerzrezeptoren sind aktiviert, und dann male ich die Wege, die diese Schmerzfasern ins Gehirn bekommen. Also, solche Dinge muss man sich zu Hilfe nehmen.

 

Leaky gut ist keine Diagnose

Axel Enninger: Okay, darf ich nochmal kurz einhaken? Du hast vorhin gesagt, keine Nebenbaustellen aufmachen, die möglicherweise die Menschen daran hindern, über diese Brücke zu gehen: ‚Okay, das sind tatsächlich funktionelle Beschwerden.‘ Und zweimal hast du vorhin kurz erwähnt leaky gut, das ist ja auch etwas, das in Phasen immer wieder kommt. Bei mir ist es momentan nicht so viel. Du hast gesagt, bei dir taucht es momentan wieder häufiger auf. Dazu müssen wir auch kurz etwas sagen, bitte.

 

Martin Claßen: Also, es kommt, glaube ich, auch aus dem angloamerikanischen Bereich rüber. Im Prinzip ist es ja so, dass im Rahmen von Infektionen die Durchlässigkeit des Darms ansteigt. Das kann man auch mit bestimmten Dingen nachweisen, Resorption von bestimmten Zuckern oder eben mit Ausscheidung von Alpha-1-Antitrypsin im Stuhl. Wenn es langfristig ist, dann müssen wir Kinder-Gastroenterologen uns weiter darum kümmern, keine Frage. Aber in der Regel ist es etwas Vorübergehendes, eben nach einer Infektion, und es geht wieder weg.

 

Axel Enninger: Das ist keine Diagnose, das ist, glaube ich, ganz wichtig. Da gibt es dann Menschen, die kommen: ‚Mein Kind hat ein leaky gut.‘ Es ist keine Diagnose, sondern eine Zustandsbeschreibung.

 

Martin Claßen: Begleitphänomen einer anderen Erkrankung.

 

Diagnostik in der Kinderarztpraxis

Axel Enninger: Du hattest vorhin schon gesagt, wie wir uns therapeutisch dem Ganzen nähern, aber lass uns vielleicht einmal noch zusammenfassen, was wir in der Leitlinie hinterlegt haben, was wir tatsächlich an Diagnostik haben wollen, positiv gesagt.

 

Martin Claßen: Bauchschmerzanamnese mit Abfragen der Red Flags, körperliche Untersuchung, möglichst auch mit Analinspektion, wenn möglich. Zum Beispiel, bei Morbus Crohn sieht man manchmal Analveränderungen. Abdomenultraschall ist von der Evidenz nicht so richtig gut, aber ich würde es immer dazu machen. Ernährungsanamnese und gucken, ob Laktose oder Fruktose eine Rolle spielen kann. Dann kann man entweder einen Diätversuch machen, wie wir es ja eingangs besprochen haben, oder einen Atemtest. Und Stuhluntersuchungen auf Calprotectin und Lamblien. Als Letztes eine Blutuntersuchung zum Ausschluss einer Zöliakie. Das sind die wichtigsten Maßnahmen, und das, finde ich, kann auch jede Kinderarztpraxis in Deutschland leisten.

 

Axel Enninger: Okay, dann haben wir ja, wenn man die Rom-IV-Klassifikationen anguckt, dann die Beschwerden, die sich eher im Oberbauch abspielen, Thema funktionelle Dyspepsie. Da geht es um frühes Völlegefühl, chronische Übelkeit und solche Dinge. Können wir das ohne Endoskopie diagnostizieren?

 

Martin Claßen: Ja, wenn keine anderen Warnzeichen da sind, kein Erbrechen, keine Anämie, also durch einen Ulkus, kein epigastrischer Druckschmerz, dann würde ich mich erst einmal durchaus hinstellen und sagen: ‚Wir machen jetzt mal einen Versuch mit einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Intervention.‘

 

Axel Enninger: Sehr häufig eine Frage bei diesem Thema chronische Übelkeit. Es ist ja ein ganz, ganz schwieriges Thema. Man sieht nichts, man fühlt nichts, aber der Patient sitzt da und sagt: ‚Mir ist immer schlecht.‘ Da mache ich es tatsächlich manchmal so, dass ich sage: ‚Okay, wenn es Ihnen hilft zu wissen, dass die Magenschleimhaut normal aussieht, dann wehre ich mich nicht dagegen.‘ Aber ich sage auch, die Wahrscheinlichkeit, dass ich da etwas finde, ist unter 1 %.

 

Martin Claßen: Wir haben doch in unserem Leben Hunderte von Teenagern mit diesen Symptomen gastroskopiert und eigentlich nie etwas gefunden.

 

Axel Enninger: Nie etwas gefunden. Absolut, genau. Stimme ich dir völlig zu, mache ich auch so transparent. Aber da habe ich das Gefühl, manche Patienten brauchen das, oder manche Familien brauchen das. Ja, es ist hineingeguckt worden, und es ist da wirklich nichts. Beim Thema funktionelle Dyspepsie tue ich mich manchmal ein bisschen schwer. Wir müssen vielleicht noch in Abgrenzung zu den Internisten sagen, dass die Diagnose Reizdarmsyndrom bei Kindern und Jugendlichen gestellt werden darf ohne Koloskopie. Das ist der Unterschied zu den internistischen Kollegen. Da wird eine unauffällige Koloskopie gefordert.

 

Martin Claßen: Aber wir werten ja die Calprotectinbestimmung hoch, du hast es eben selber gesagt, hoher negativ prädiktiver Wert. Wenn das Calprotectin normal ist, kann man mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass keine CED vorliegt, und damit würde ich mich auch erst einmal zufrieden geben, wenn keine anderen Warnzeichen da sind. Wenn Gewichtsabnahme da ist, muss man natürlich anders gucken.

 

Kein Einstieg in die diagnostische Spirale

Axel Enninger: Okay, also, die Diagnostik wollen wir auf alle Fälle. Dann hast du vorhin schon gesagt, und so mache ich es auch, möglichst sehr früh in der Patientenkommunikation sagen: ‚Ich gehe davon aus, dass Ihr Kind funktionelle Beschwerden hat, und es gibt für mich jetzt keinen Hinweis dafür, dass ich noch irgendeine andere Diagnostik machen muss.‘ Also frühzeitig thematisieren, dass man eben nicht in diese diagnostische Spirale kommt: Und was machen wir jetzt noch, und was machen wir noch, was machen wir noch? Da wollen wir ja nicht hin.

 

Martin Claßen: Meine Diktion ist: ‚Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jetzt etwas finden, eine organische Ursache, ist sehr gering. Es gibt keine Warnzeichen. Die körperliche Untersuchung war normal. Wir machen jetzt trotzdem diese Laboruntersuchung und diese Stuhluntersuchung, und wenn, wie ich es erwarte, nichts dabei herauskommt, dann lautet die Diagnose „funktioneller Bauchschmerz“ oder „Reizdarm“, und da kann man das und das und das machen.‘ Das mache ich oft bei der Erstberatung. Dann ist der Weg schon so ein bisschen in diese Richtung gebahnt.

 

Axel Enninger: ‚Dann machen wir das und das und das.‘ Was, das hast du vorhin schon einmal gesagt. Aber vielleicht noch einmal die wesentlichen Punkte in der Beratung. Wenn ich sage: ‚Ihr Kind hat funktionelle Bauchschmerzen oder Ihr Kind‘ – du sprichst eher von Reizdarmsyndrom – ‚Ihr Kind hat eher ein Reizdarmsyndrom.‘ Was sind die wesentlichen Nachrichten, die du aussendest?

 

Martin Claßen: Die wesentlichen Nachrichten sind, dass es 1. harmlos ist, 2., dass es häufig ist, dass es nicht allein ein psychisches Problem ist, sondern eben diese… deswegen spreche ich immer von dieser Darm–Hirn-Achse…

 

Axel Enninger: Nicht eingebildet.

 

Martin Claßen:  Genau!

 

Axel Enninger: Mir ganz wichtig, dass ich sage: ‚Ihr Kind hat Bauchschmerzen.‘ Und ich sage den Jugendlichen auch: ‚Ich glaube dir, dass du Beschwerden hast. Es ist nicht eingebildet. Wenn ich an funktionelle Beschwerden denke, heißt das nicht, du hast keine Beschwerden, sondern du hast diese Beschwerden.‘

 

Von Probiotika bis Darmhypnose

Martin Claßen: Genau! Und man kann etwas tun. Es gibt Möglichkeiten. Also wir sprechen natürlich über Entspannungstechniken, Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation. Es gibt die Darm-Hypnotherapie. Es gibt eben die Informationsmaterialien dazu, gibt die Möglichkeit, einen Bauchschmerzkalender zu machen, mit dem man es hinterher auch ein bisschen reflektieren kann, wenn man die Patienten weiter betreut. In manchen Fällen geben wir in dem Fall dann auch mal Probiotika. In der Leitlinie haben wir Lactobacillus GG empfohlen, weil da die beste Evidenz ist. Es ist wahrscheinlich schon davon abhängig, welches Probiotikum man gibt. Bei Kindern, wo ich das Gefühl habe, dass die Informationen und diese Schulungsprogramme nicht alleine ausreichen, bin ich auch relativ großzügig damit es zu empfehlen.

 

Axel Enninger: Nur nochmal, wir sind nicht auf dem esoterischen Tripp, aber trotzdem müsstest du etwas zu Darmhypnose sagen. Es klingt ja doch ein bisschen strange, dass wir beide als klassische Schulmediziner jetzt hier Darmhypnose empfehlen. Da gibt es ja sehr, sehr gute Programme.

 

Martin Claßen: Genau, diese Hypnotherapieprogramme, die „gut directed hypnotherapy“, die auch große Wirksamkeit haben. Das kann man natürlich von ausgebildeten Hypnotherapeuten machen lassen, aber man kann es natürlich auch über Audiostreams versuchen. Und es ist wirksam. Yoga kann helfen, also viele, auch körperorientierte Therapieformen, sind wirksam.

 

Axel Enninger: Also, da gibt es in der Tat auch auf den üblichen Formaten, wo man Podcasts herunterladen kann, durchaus sinnvolle Dinge, die man selber ausprobieren kann. Also Darmhypnose ist durchaus ein schlauer Ansatz. Ein bisschen Ausblick: Wohin geht es denn? Was denkst du, was kommt forschungsmäßig in nächster Zeit auf uns zu?

 

Martin Claßen: Ich könnte mir vorstellen, dass uns diagnostisch Mikrobiom-Signaturen helfen könnten, vielleicht auch gezielt Patienten zu behandeln mit auffälligen Mikrobiom-Signaturen, und wir werden, glaube ich, besser werden müssen in den Schulungsmaßnahmen. Da sind wir ja, das hatte ich eben erwähnt, durchaus dran, jugendgerechte und kindgerechte Informationsmöglichkeiten zu schaffen. Mal gucken. Also, ich bin da eigentlich ganz optimistisch.

 

Axel Enninger: Wollen wir noch mal festhalten, Stand 2023: Wir denken, Mikrobiom-Signatur könnte etwas werden. Trotzdem keine Mikrobiomanalysen zum aktuellen Standpunkt.

 

Martin Claßen: Nein, bitte nicht.

 

Axel Enninger: Hilft uns nicht weiter.

 

Martin Claßen: Genau, genau.

 

Befunde nicht überbewerten, weiterbehandeln bei nicht-organischer Ursache, keine unnötige Diät, sorgfältige Anamnese und Aufklärung

Axel Enninger: Gut, Martin, Standardelement, das kennst du mittlerweile schon, da du hier schon mal zu Gast warst, sind Dos & Don’ts. Dinge, die du positiv oder negativ als take home message loswerden möchtest.

 

Martin Claßen: Also, ein Teil ist ja schon gesagt worden, jetzt quasi noch einmal eine Zusammenfassung wichtiger Botschaften. Ich fange mal mit den Don‘ts an. Überinterpretation von Befunden. Positiver Atemtest ist gleich die Diagnose? Das stimmt ja nicht. Ein positiver Atemtest mit Laktose heißt einfach, da ist ein Problem mit der Spaltung. Ob es wirklich eine klinische Relevanz hat, muss man testen, genauso wie ein positiver Pricktest nicht „die Allergie“ ist. Also, Überinterpretation von Befunden ist aus meiner Sicht ein wesentliches Problem, und man muss es kritisch bewerten. Das Zweite ist, wenn man keine organische Diagnose gefunden hat, dass man als Ärztin oder als Arzt sagt: ‚Na, das ist nichts mehr für mich, ist nicht somatisch, und damit ab in die Psychologie‘, was ja total hilfreich sein kann, wenn Kinder Ängste haben oder schwere Komorbiditäten. Aber wir haben die Aufgabe, finde ich, bei so einem Problem, wo Darm–Hirn-Achse, also wo Soma und Psyche zusammengehören, auch unseren Teil vernünftig zu machen, das heißt, eine vernünftige Aufklärung zu machen. Das Dritte ist, unnötige Diäten ewig weiterzuführen. Es gibt mittlerweile Daten dazu, dass eben auch unnötige Diäten negative Auswirkungen aufs Mikrobiom haben und damit auch auf den entsprechenden Menschen haben. Wir wissen gar nicht, was es langfristig macht. Also eine Diät diagnostisch eine gewisse Zeit machen, aber dann, wenn es nichts bringt, sowieso wieder zurückgehen, und wenn es etwas bringt, kann man die Toleranzschwelle ausprobieren.

 

Axel Enninger: Für die Lebensqualität ist es auch nicht gut, essen hat ja auch mit Spaß zu tun.

 

Martin Claßen: Ja, na klar! Die Dos: Was ich ja immer sage, auch den jungen Assistenten immer gesagt habe: aufmerksam zuhören, vernünftige Anamnese machen, rauskriegen, was ist da los, auch Ernährungsanamnese ist wichtig. Dazu lassen wir uns ja oft nicht die Zeit. Ich glaube, dass man damit schon auch viele, viele Familien erreicht und auch viele, viele Jugendliche erreicht. Und das Zweite, was wir tun sollten als Do, auf der Do-Liste, ist eine vernünftige Aufklärung darüber. Also, meine Erfahrung ist, dass, wenn man sich ein paar Minuten Zeit nimmt – ich habe nun das Privileg, dass ich immer eine halbe Stunde pro Patient habe – dass sie dann rausgehen, auch mit langen Vorgeschichten, mit vielen Leuten, die sie konsultiert haben, und dann sagen: ‚So hat mir das noch niemand erklärt, und das ist ja gut, dass ich das jetzt mal verstanden habe.‘ Ich glaube, wir sollten die Zeit nehmen. Es ist wirklich auch lohnend und befriedigend.

 

Axel Enninger: Martin, vielen, vielen Dank. Es war wie immer eine Freude, mich mit dir zu unterhalten. Ich glaube, die wesentlichen Punkte sind wir losgeworden, und man hat vielleicht auch gemerkt, dass uns beiden dieses Thema wirklich sehr am Herzen liegt. Ich hoffe, Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oder Zuschauende, muss ich ja jetzt sagen, fanden das auch hilfreich. Und wie gesagt, jetzt gibt es den Sonderteil, den es beim Podcast bislang noch nie gab, nämlich dass Sie Fragen stellen können, und dazu werden mir jetzt ganz munter die Fragen hier eingereicht. Vielen Dank.

 

 

Fragen und Antworten

((44:50))

Axel Enninger: So Martin, es geht los. Ja, das finde ich eine ganz, ganz spannende Frage.

 

Frage:  Man hat das Gefühl, dass die Unverträglichkeiten in großem Maße zunehmen. Mir scheint, dass Kinder schon stigmatisiert sind, wenn sie keine Unverträglichkeiten haben.

 

Axel Enninger: Das kann ich nur bestätigen. Das ist das, was ich vorhin ja auch sagte. Unverträglichkeit hat man gerne, chronische Obstipation ist irgendwie blöd.

 

Martin Claßen: Genau! Also, das ist natürlich auch „in“, und das war eine Motivation, dieses Thema hier noch einmal aufzugreifen, weil ich durchaus das Gefühl habe, dass es in vielen Fällen überinterpretiert wird. Ich glaube nicht, dass die Unverträglichkeiten zugenommen haben. Die Wahrnehmung ist eine andere geworden. Es ist hipp, wenn man eine Laktoseintoleranz hat, und das, was wir heute gesagt haben, die individuelle Schwelle, ist unterschiedlich. Es spielt eine viszerale Hypersensitivität mit eine Rolle. Das muss man alles mitberücksichtigen, und keine unnötigen Diäten ewiglange machen. Im Zweifel sagen: ‚Gut, Ihr Kind hat jetzt eine Zeit lang auf große Mengen Fruktose verzichtet, jetzt probieren wir mal, wenn Sie das langsam steigern.‘

 

Axel Enninger: Dann gibt es hier eine positive Rückmeldung.

 

Frage: Applaus für das Vermeiden von Atemtests. Das Gleiche gilt ja auch für das Missverhältnis von Laktosezufuhr und Laktaseaktivität. Wir müssten ja sonst ganze Kontinente testen für ein physiologisches Phänomen.

 

Axel Enninger: Ich glaube, da kann man nur zustimmen.

 

Martin Claßen: Genau. Gute Anamnese, also, man sieht den Patienten und sieht, er kommt aus Afrika, und man fragt dann: ‚Was isst du denn alles?‘ Und es wird klar, dass da viel Laktose drin ist, dann braucht es eigentlich keinen Atemtest, sondern das ist eine Frage der Beratung und Wahrnehmung. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, dann ist es naheliegend.

 

Axel Enninger: Ja, genau wenn man mit offenen Augen durch die Welt verreist, sieht man auch, dass die Kulturen ihre Küche entsprechend an die Bedingungen angepasst haben. Es gibt halt keine Sahnesoße in Südostasien, logischerweise. Also, danke für den Hinweis. Noch mal: Da können wir nicht widersprechen. Noch ein Kommentar zu Atemtest.

 

Frage: Bei uns in der Umgebung wird bei den Atemtests neben Laktose und Fruktose auch Sorbitol getestet mit dem Ergebnis, dass jedes 2. bis 3. Kind eine Sorbitolunverträglichkeit haben soll. Wie geht man damit um?

 

Martin Claßen: Also wir haben ja eingangs gesagt, dass für uns Fruktose- und Sorbitunverträglichkeit zusammengehört. Die Kinder, die ein Probleme mit großen Mengen Fruktose haben, haben es meistens auch mit Sorbit. Das gehört zusammen. Natürlich ist es so, dass die Aufnahmekapazität für Sorbitol noch schlechter ist als für Fruktose, und deswegen steht auch auf allen sorbithaltigen Süßigkeiten drauf: „Kann bei Verzehr größeren Mengen abführend wirken.“ Man muss eben wissen, dass es eine ganze Reihe von Obstsorten gibt, die eine relevante Menge Sorbit enthalten: Birne, Pflaume, Apfel auch. Es ist keine separate Krankheit, sondern es ist so ein bisschen dieses Ausreizen der Atemteste, bis nichts mehr geht. Eine Sache vielleicht noch zu den Atemtests. Wir sehen ja wahrscheinlich in der Gastrospezialsprechstunde die Spitze des Eisbergs, also Kinder, die schon lange Bauchschmerzen haben, vielleicht auch sehr beeinträchtigt sind, und einige wenige haben dann auch mal eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedlung, die man gut mit dem Atemtest diagnostizieren kann. Ich habe immer mal Patienten, die schon alles hinter sich haben, wo ich dann sage, wir machen jetzt mal einen Atemtest mit Glukose, der normalerweise ja nicht ansprechen darf, und wenn der ansteigt oder eine hohe Nüchtern-Exhalation da ist, dann diagnostizieren wir eine Dünndarmfehlbesiedlung, behandeln dann antibiotisch, und die Bauchschmerzen sind wie weggeblasen. Auch das muss man noch mal erwähnen.

 

Axel Enninger: Genau, wobei da klinisch ja häufig das Thema ist, morgens ist der Bauch ganz flach und im Laufe des Tages wird der Bauch riesig dick. Wenn man dann fragt, ob es denn schon mal eine antibiotische Therapie wegen einer Otitis oder wegen irgendetwas anderem gab und die Leute dann sagen, ja und dass es in der Zeit ein bisschen besser war, dann ist das ein indirekter, klinischer Hinweis.

 

Martin Claßen: Der Bauch wird dicker, egal was man isst, weil es nicht davon abhängt, ob nun Laktose, Fruktose, was auch immer zugeführt wird, genau.

 

Axel Enninger: Jetzt hier eine interessante Frage.

 

Frage: Spielt die Bestimmung des Calprotectins bei der Frage, ob eine Zöliakie vorliegt, eine Rolle?

 

Martin Claßen: Meines Wissens gibt es sowohl niedrige Calprotectinwerte als auch hohe. Im Prinzip gehen wir bei der Zöliakie ja von einer Dünndarmentzündungen aus, aber mit Lymphozyten, weniger mit Granulozyten, und ich habe beides gesehen, muss ich sagen.

 

Axel Enninger: Habe ich durchaus auch schon gesehen, leicht erhöhte Calprotectinwerte bei Zöliakiepatienten. Habe ich durchaus auch schon.

 

Martin Claßen: Man kann jetzt nicht sagen: ‚Ich mache das Calprotectin und wenn es normal ist, ist die Zöliakie ausgeschlossen.‘ Also umgekehrt ist es so: Zöliakie ist a) häufig, b) oft subtil von der klinischen Symptomatik. Bei allen Kindern, wo man daran denkt, das gilt ja nicht nur für die Bauchschmerzkinder, sondern auch für die, die eine Anämie haben oder die Kinder, die nicht gut wachsen oder die Kinder, die eine Verstopfung haben, im Zweifel einmal die Transglutaminase machen und das Gesamt-IgA mitbestimmen.

 

Axel Enninger: Die nächsten zwei Fragen würde ich vielleicht zusammenfassen.

 

Frage: Gibt es gute Normwerte für Calprotectin, insbesondere ab welcher Höhe sicherer Nachweis für Entzündung im Darm? Und zweite Frage dazu: Ab welchem Alter ist das Calprotectin aussagekräftig?

 

Axel Enninger: Finde ich eine sehr gute Frage, denn viele Labors geben einfach < 50 an, was aber Unsinn ist, weil es altersspezifische Normwerte gibt.

 

Martin Claßen: Genau, bis zum ersten Geburtstag sind Werte bis 200 völlig normal.

 

Axel Enninger: Ich sage bis 400. Da gibt’s Perzentilen, Kurven für Calprotectin-Normwerte, aus Schweden kommen sie, glaube ich. Sie haben in den ersten Monaten zum Teil 800, 900 als 50. Perzentile fürs Calprotectin. Also das sind wirklich sehr, sehr hohe Werte im ersten Lebensjahr.

 

Martin Claßen: Und es gibt immer einzelne Ausreißer. Also, es gibt schon Patienten, bei denen – wenn sie nur Bauchschmerzen haben, keine anderen Symptome – würde mich jetzt auch ein 200er Calprotectin nicht vom Stuhl werfen. Wenn andere Symptome dabei sind, also Gewichtsabnahme, Leistungsminderung, Anämie oder so, dann würde ich den auch bei einem 250er Calprotectin zur Endoskopie schicken. Also, es ist Calprotectin plus klinische Symptomatik. Wir haben natürlich alle Kinder gesehen, die kommen mit einem 500er Calprotectin, man macht nach drei Wochen eine Kontrolle, und es ist alles weg, also akute Infektion.

 

Axel Enninger: Gleich die nächste Frage dazu. Das ist nämlich genau die Frage.

 

Frage: Wie lange nach einer akuten Gastroenteritis macht es Sinn, Calprotectin im Zusammenhang mit chronischen Bauchschmerzen zu bestimmen?

 

Axel Enninger: Wie lange würdest du warten? Es ist ja genau so, akute GE, da wird das Calprotectin hoch sein. Wie lange warten wir?

 

Martin Claßen: Da gibt es keine guten Daten. Wenn man klinisch nicht unter Druck ist, würde ich eher 6 Wochen sagen, aber ich kenne keine richtige Handlungsanweisung.

 

Axel Enninger: Okay, jetzt eine Frage nach einem Präparat:

 

Frage: Ist Lacteol unbedenklich?

 

Martin Claßen: Das kann man geben. Es sind ja, glaube ich, abgetötete Bakterien. Es ist immer noch in der Diskussion, ob es für die Wirkung von Probiotika wichtig ist, ob diese Bakterien leben oder nicht. Wahrscheinlich sind auch die toten Zellbestandteile wirksam, aber Lacteol ist eben nicht getestet. Wir haben für die Reizdarm-Leitlinie in den ganzen Publikationen nachgeguckt und die beste Evidenz existiert im Prinzip für Lactobacillus GG.

 

Axel Enninger: Für Erwachsene gibt es eine etwas längere Liste, das kann man auch in der Reizdarm-Leitlinie nachlesen. Für Erwachsene gibt es ein paar mehr Präparate, die nachgewiesen wirken, aber ich meine, Lacteol wäre nicht dabei. Jetzt eine Frage, da geht es hoffentlich um ältere Kinder.

 

Frage: Ist kalziumangereicherte Hafermilch möglich?

 

Axel Enninger: Das kann ich vielleicht beantworten. Ja, möglich bei Kindern, die nicht mehr Säuglinge sind. Also, das kann man durchaus machen, aber auch da, wie gesagt, bei der Hafermilch bitte darauf achten, dass sie kalziumangereichert ist. Sie ist dann so angereichert, als wäre es normale Kuhmilch. Aber Biopräparate haben eben kein Kalzium.

 

Martin Claßen: Und die einzige pflanzenbasierte Säuglingsmilch ist ja die Sojamilch.

 

Axel Enninger: Die wollen wir nicht wegen der Phytoöstrogene.

 

Martin Claßen: Genau, aber wenn es nicht anders geht, Glykogenose oder so, dann geben wir sie.

 

Axel Enninger: Ja.

 

Frage: Wie sieht es bei Kuhmilchallergie-Nahrungen, extensives Hydrolysat oder Aminosäurehydrolysat, mit dem Kalziumgehalt aus?

 

Martin Claßen: Die sind angereichert, das ist kein Problem. Es reicht im Säuglingsalter sowieso aus. Wenn sie quasi als Pre-Nahrungen oder 1-Nahrungen zertifiziert sind, dann reicht es. Und auch die Aminosäurenahrungen, die für ältere Kinder designt sind, haben alle Kalzium in ausreichender Menge, keine Frage.

 

Axel Enninger: Also, da muss man keine Sorgen haben.

 

Frage: Praktische Ratschläge für kalziumreiche Ernährung?

 

Martin Claßen: Also, Mineralwasser nach Kalziumgehalt auswählen. Da muss man in einen Getränkemarkt gehen und ein bisschen vergleichen. Es gibt auch Fruchtsäfte, die mit Kalzium angereichert sind. Im Zweifel würde ich dann, glaube ich, an die Diätassistentin weitergeben.

 

Frage: Kann eine Zöliakie klinisch mit dem Bild einer Laktosemalabsorption erscheinen? Sprich, die Eltern sehen unter laktosearmer Kost ein Verschwinden der Symptome?

 

Martin Claßen: Ja, jetzt gehen wir nochmal in die Darmphysiologie. Wir wissen, dass die Laktaseaktivität an den Zottenspitzen am größten ist. Das hat etwas mit der Reifung der Enterozyten zu tun und das heißt umgekehrt, wenn sie eine Zottenatrophie haben, haben sie immer eigentlich auch einen Laktasemangel. Das heißt, bei der floriden Zöliakie, also Marsh III mit einer kompletten Zottenatrophie, haben fast alle Laktoseintoleranz. Früher haben wir auch so beraten. Mittlerweile wissen wir, unter glutenfreier Kost geht es ihnen so schnell besser, dass wir das nicht noch zusätzlich als Erschwernis reinbringen. Aber im Prinzip hat der Frager oder die Fragenende recht. Also eine Besserung unter laktosearmer Ernährung schließt die Zöliakie nicht aus.

 

Axel Enninger: Genau, das ist der entscheidende Punkt. Es kann dann zwar klinisch besser werden, dann habe ich die Laktase aus den Zottenspitzen quasi umgangen, aber das heißt nicht, er kann keine Zöliakie haben.

 

Martin Claßen: Einmal die Transglutaminase machen, das finde ich, das sollten wir tun. Ja!

 

Frage: Sind Laktasetabletten sinnvoll?

 

Martin Claßen: Ja, im Prinzip schon, es hängt ein bisschen vom Alter des Kindes ab. Man muss es ausprobieren. Es hat natürlich etwas mit Lebensqualität zu tun. Also deswegen mein Beispiel mit dem italienischen Eiscafé. Ich esse gerne Eis, und ich würde, wenn ich eine Laktoseintoleranz hätte, mir diesen Genuss gerne erhalten und dann Laktase dazunehmen. Aber es ist kein Medikament, das heißt, es muss von den Familien bezahlt werden. Da muss man gucken, und man muss es auch ein bisschen ausprobieren, wie die Dosierung hinkommt.

 

Axel Enninger: Also es ist jetzt nicht so ganz easy. Man kann jetzt nicht an der Eistheke stehen, kann sagen: ‚Drei Kugeln Eis!‘ Und dann gleich Laktasetablette, sondern man muss es vorher nehmen. Ich habe so ein bisschen Mühe damit, weil durch die Laktasegabe das Ganze so einen Krankheitsstellenwert kriegt. Das finde ich schwierig, dass die Kinder lernen, ich muss irgendwie eine Pille nehmen. Für Einzelfälle ja, aber in der Daueranwendung würde ich sagen, es gibt laktosefreie Milch, Quark, Joghurt, Sahne, alles zu kaufen. Hartkäsesorten sind eh unproblematisch, Butter enthält praktisch nur Fett.

 

Martin Claßen: Auch natürlich für die Industrie interessant, laktosearme Produkte, weil sie teurer zu vermarkten sind. Laktosearme Butter ist meines Erachtens Unsinn. Bei manchen Käsesorten kann man darüber diskutieren.

 

Axel Enninger: Laktosefreier Gouda, der verkauft wird, muss man sagen… Bei vielen Hartkäseorten steht ja mittlerweile drauf: ‚Natürlicherweise ohne Laktose‘, schon ganz schlau.

 

Frage: Bessern sich funktionelle Bauchschmerzen nach Wärmeapplikation?

 

Martin Claßen: Ja, das kann schon sein, wenn es einen entspannenden Effekt hat. Wir haben bei den funktionellen Bauchschmerzen nicht über Spasmolytika gesprochen. Dazu gibt es keine Daten. Wir haben in der alten Version der Leitlinie über Pfefferminzölkapseln gesprochen. Sie sollen einen spasmolytischen Effekt haben. Unter kritischer Bewertung der Literatur haben wir für die aktuelle Reizdarm-Leitlinie drauf verzichtet.

 

Axel Enninger: Da haben wir es ein bisschen mühsam gehabt. Dein und mein Herz hing so ein bisschen am Pfefferminz. Ich fand es auch ein gutes Präparat, aber wir konnten uns nicht durchsetzen.

 

Martin Claßen: Ja, genau, und ich glaube, wenn man das als Spasmolytikum nimmt, also Wärme, ist ein gutes Spasmolytikum, klar, und das Gleiche gilt letztlich vielleicht auch für dies Pfefferminzöl. Also wenn Familien damit gut zurechtkommen und es eine Hilfe ist, mit dem Problem umzugehen, würde ich sagen, super!

 

Axel Enninger: Jetzt ein Versorgungsthema.

 

Frage: Woher bekommen wir in der ambulanten Versorgung spontan eine kognitive Verhaltensintervention? Das müssten wir eher selber übernehmen, denn Termine beim Psychologen und KJP sind mit 6 bis 9 Monaten Wartezeit nicht hilfreich.

 

Martin Claßen: Genau. Im Prinzip würde ich da nochmal auf die Webseite der GPGE gehen. Da sind Hinweise. Dann dieser Artikel über den Krefelder Bauchschmerztag in der MoKi, vor 5 Jahren etwa war es drin, da sind Materialien. Ich glaube, jeder macht es ein bisschen nach seinem Gusto. Aber ich glaube schon, dass es unsere Aufgabe ist. Oder man müsste jemanden vom Personal in der Praxis entsprechend schulen. Auch das wäre eine Möglichkeit. Das ist bisher nicht formalisiert, aber wäre auch vielleicht noch einmal eine Aufgabe für die GPGE auch MFAs auszubilden, das mit den Familien durchzugehen.

 

Axel Enninger: Lamblien-Diagnostik: Muss es eine PCR im Stuhl sein?

 

Martin Claßen: Zumindest ein immunologischer Nachweis. Ich glaube, der mikroskopische Nachweis reicht nicht aus, er ist nicht sensitiv genug.

 

Axel Enninger: Den mikroskopischen Nachweis, den macht, glaube ich, kaum noch einer. Die meisten gucken Antigene nach. Von daher ist das nicht mehr so sensibel, wie es früher mal war, wo man den warmen Stuhl ins Labor bringen musste.

 

Martin Claßen: Ob PCR oder ELISA, das ist mir letztlich egal.

 

Frage: Ist die Helicobacter pylori-Bestimmung im Stuhl sinnlos?

 

Martin Claßen: Ja, also nach „Leitlinie Helicobacter“ ist es sinnlos, und natürlich ist es so, dass viele Menschen mit Helicobacter leben und alt werden und grau werden, ohne Probleme zu kriegen. Ich gebe mal zu, ich bin ja jetzt nicht mehr in der Klinik und endoskopiere nicht mehr, dass wenn jetzt zum Beispiel das Migrantenkind, das wir eben besprochen hatten, mit Oberbauchschmerz, epigastrischem Druckschmerz, rezidivierendem Erbrechen kommt, dann habe ich jetzt auch schon mal Helicobacter im Stuhl bestimmt, aber da bin ich nicht leitlinienkonform.

 

Axel Enninger: Okay, also, eigentlich wollen wir es nicht mehr. In der Leitlinie steht, glaube ich, nur noch zur Eradikationskontrolle, wobei in der Leitlinie auch steht, dass, wenn jemand klinisch beschwerdefrei ist, ein positiver Nachweis dann keine Konsequenz brächte. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich auch keine Eradikationskontrolle mehr mache, sondern mich nur noch auf die Klinik verlasse. Die Einzigen, wo ich noch Helicobacter pylori im Stuhl bestimme, sind Kinder aus Familien, wo es MALT-Lymphome gab. Das ist eigentlich der einzige Grund, wo ich sage, da lohnt es sich nachzugucken, weil das auch eine Konsequenz hätte.

 

Martin Claßen: Wobei ich glaube, in der internistischen Medizin geht der Trend so ein bisschen zu diesem test & treat, also bei positivem Nachweis eine Eradikationstherapie zu versuchen. Wir bleiben jetzt mal leitlinienkonform und sagen: nein, macht man nicht.

 

Frage: Welchen Stellenwert hat ein Bauchschmerzprotokoll?

 

Martin Claßen: Das ist gut, weil man die Wechselwirkungen zwischen äußeren Faktoren, also sowohl Ernährung als auch Schule, andere Dinge, sieht und es eine gute Möglichkeit ist, mit dem Kind oder mit dem Jugendlichen über dieses Thema zu sprechen. Man weiß – das haben wir auch in der Leitlinie – das Führen von Bauchschmerzkalendern kann hilfreich sein zum Umgang mit dem Problem.

 

Axel Enninger: Ja, wobei ich persönlich sage, bei der Diagnostik ist es durchaus nicht schlecht. Wenn man den Eindruck hat, es wird besser, ist es ist manchmal so, dass auch das Bauchschmerzprotokoll eher sozusagen das Thema verlängert, weil es immer wieder noch nachgefragt wird: ‚Wie war denn heute dein Tag?‘

 

Martin Claßen: Es ist von den Kindern auszufüllen. Nicht, dass Eltern nachfragen. Es ist übrigens auch eine Botschaft bei Kindern mit funktionellen Beschwerden, dass ich den Eltern sage: ‚Sie müssen nicht jeden Tag Ihr Kind fragen, ob es Bauchschmerzen hat. Es meldet sich schon, wenn es schlimm ist.‘

 

Axel Enninger: Genau, und das ist natürlich das Thema bei dem Bauchschmerzprotokoll. Wenn man es ausfüllt, also sag ich mal, die schwäbisch-strenge Wenn-der-Arzt-es-sagt-dann-wird-es-auch-gemacht-Familie, dann wird eben dann doch jeden Tag gefragt, und wir wollen eigentlich nicht, dass das Thema erhalten wird.

 

Martin Claßen: Völlig richtig.

 

Frage: Gibt es Durchfall ohne Calprotectin-Erhöhung bzw. erwarte ich bei Durchfall nicht ein erhöhtes Calprotectin? Mit anderen Worten: Ist vor allem bei Nicht-Durchfall die Bestimmung sinnvoll?

 

Martin Claßen: Ja, klar. Wir hatten ja den Dünndarm-Crohn, die haben typischerweise keinen Durchfall, aber eben doch heftige Bauchschmerzen. Da kriegen wir es eigentlich nur über das Calprotectin heraus, wenn wir uns nicht im Ultraschall als Wandverdickung im Dünndarm sehen. Und natürlich gibt es Durchfallursachen ohne Calprotectinerhöhung.

 

Axel Enninger: Wenn jemand eine Fruktosemalabsorption hat, ist Calprotectin auch nicht erhöht.

 

Martin Claßen: Ja klar.

 

Frage: Vorschlag: Videos von echten Aufklärungsgesprächen mit Patientinnen und deren Fragen, damit man sich die Kniffe, Beispiele, so etwas wie Darm–Hirn-Achse abschauen kann?

 

Martin Claßen: Ja! Ich glaube, dass wir da mehr machen müssen. Das finde ich auch. Ich hoffe auf diese Website, die in Entwicklung ist. Da gibt es auch Videos für Kinder und Jugendliche. Ein Beispiel: Da steht ein Auto, schöner amerikanischer Straßenkreuzer, da ist eine Alarmanlage geschaltet. Da kommt der Dieb mit der Brechstange und versucht, das Auto aufzuknacken, und dann geht die Alarmanlage los. Im zweiten Teil des Videos fällt ein Blatt auf die Motorhaube und die Alarmanlage geht los. Dieses Bild einer zu empfindlichen Alarmanlage beim Bauch-Nervensystem ist etwas, was Kinder auch sehen können. Da gibt’s viele Beispiele. Da können wir als GPGE uns weiter aktivieren. Aber wenn man im Netz guckt, findet man schon auch ganz gute Videos dazu.

 

Axel Enninger: Ja! Jetzt ein Kommentar, den ich nicht ganz verstehe. Ich ahne, was der Kollege meint. Tilmann Kaethner schreibt: In der Praxis fehlt leider oft diese Zeit. Ich denke, da geht’s um die Zeit, das biopsychosoziale Bauchschmerzmodell zu erläutern.

 

Martin Claßen: Ja, das ist leider wahrscheinlich der Haken. Ich glaube trotzdem, dass es gut investierte Zeit ist. Wie man das nun in der Praxisorganisation hinbekommt, weiß ich nicht. Ich bin jetzt nur in Teilzeit tätig und hab das Privileg, 30 Minuten pro Patient zu haben, da reicht es immer. Vielleicht kann man sich die dann doch nochmal einmal einbestellen oder eben jemanden aus dem Personal entsprechend schulen. Aber im Prinzip hat er Recht.

 

Axel Enninger: Hier besteht nochmal der Wunsch, kurz als Erinnerung die Red Flags aufzuzählen.

 

Martin Claßen: Ich hoffe, dass ich sie jetzt einigermaßen vollständig hinkriege.

 

Axel Enninger: Kriegen wir zusammen hin.

 

Martin Claßen: Gut! Also Gewichtsverlust, Allgemeinbefinden beeinträchtigt, nächtliches Auftreten von Bauchschmerzen, abseits vom Nabel.

 

Axel Enninger: Rezidivierende Fieberschübe, Arthritiden.

 

Martin Claßen: Genau, anale Veränderungen, Blut im Stuhl. Was haben wir noch? Familiäre Vorgeschichte von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, gerade der Chron hat ja häufiger eine genetische Komponente. Wachstumsverzögerung, verzögerte Pubertät wären noch Hinweise auf eine CED. Also ist nicht alles vollständig. Wir werden einen relativ aktuellen Artikel von Georgia Ortner und mir zum Thema Bauchschmerz, der in der MoKi war, zitieren, da sind sie alle einmal aufgeführt und auch Hinweise auf Differenzialdiagnosen seltener Art.

 

Axel Enninger: Genau, den tun wir auch ins Transkript der Podcastfolge.

 

Frage: Wenn eine Eliminationsdiät versucht wird, wie lange ist das zu empfehlen?

 

Martin Claßen: Zwei, drei Wochen reicht. Für die Kohlenhydrate, da ist ja kein Entzündungsvorgang, müsste man in der Regel nach drei, vier Tagen sehen, es besser sich.

 

Axel Enninger: Okay, ich würde auch sagen, 2 Wochen und dann ist tatsächlich gut. Eine kleine Modifikation bei Kuhmilchallergie im ersten Lebensjahr, da sagen wir 2 bis 4 Wochen.

 

Martin Claßen: Genau, da ist ein Entzündungsvorgang, der abklingen muss. Da braucht man mehr, klar, aber für die Kohlenhydrate, das war jetzt unser Thema heute, müsste man die Änderungen relativ rasch sehen.

 

Frage: Zur Auswirkung von Antibiotika auf das Mikrobiom: 7 Tage oder 14 Tage Amoxicillin. Macht es einen Unterschied?

 

Martin Claßen: Ich kenne keine Studie dazu, aber im Rahmen des Antibiotic Stewardship sagen wir immer: so kurz wie möglich, so lange wie nötig. Von 14 Tagen geht man ja weitgehend ab, auch bei den Meningitis-Therapien oder den Therapien für akute Pyelonephritis gehen wir in der Behandlungsdauer immer weiter runter.

 

Axel Enninger: Naja, nur bei Helicobacter pylori behandeln wir zwei Wochen, und früher haben wir es eine Woche behandelt, aber trotzdem würde man auch da sagen, dass die Veränderungen im Mikrobiom so schnell reversibel sind, dass wir da eigentlich keine Intervention brauchen.

 

Martin Claßen: Zumindest bei älteren Kindern, also bei Säuglingen, ist es vielleicht so, dass es schon doch eine größere Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass ältere Menschen, also schon ab dem jugendlichen Alter, ein relativ stabiles Mikrobiom haben, was sich auch nach einer antibiotischen Therapie bessert. Ob man dann noch ein Probiotikum dazugeben muss, das wird ja durchaus kritisch diskutiert. Man macht nichts falsch mit einem Probiotikum, aber man macht auch keinen Fehler, wenn man es weglässt.

 

Frage: Welches Antibiotikum verwenden Sie zur Therapie der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung?

 

Martin Claßen: Metronidazol ist unser Standard. Ich gebe 15 mg / kg, in der Regel 7–10 Tage.

 

Axel Enninger: Ja, also ich steh auf Rifaximin.

 

Martin Claßen: Okay, kann man auch, aber es ist eigentlich offiziell nicht zugelassen.

 

Axel Enninger: Rifaximin ist in Österreich ab 2 Jahren für Reisediarrhö zugelassen. Das versuche ich dann immer zu nehmen. Also das nicht resorbierbare Antibiotikum, was ich deswegen ganz gerne nehme.

 

Martin Claßen: Metronidazol hat ja den Nachteil, dass es blöd schmeckt, und gerade, wenn man kleinere Kinder hat, die keine Tabletten schlucken, dann hat man ein Problem, das zuzuführen.

 

Frage: Wo finden Patienten mit starken funktionellen Bauchschmerzen Entspannungstechniken? Gibt es online etwas, das Sie empfehlen können?

 

Axel Enninger: Noch nicht, würde man sagen, aber bald.

 

Martin Claßen: Ja, und dieses, was du gesagt hast, diese gut directed hypnotherapy kann man zumindest auch mal googlen.

 

Axel Enninger: Ja, also ich kann es so sagen, gibt’s bei Spotify. „Darmhypnose“ findet man durchaus, hab ich mir zweimal eine Folge angehört. Das ist sehr vernünftig, und für Patienten, die dafür zugänglich sind, ist das sicher gut.

 

Frage: Gibt es bei der GPGE-Internetseite Tipps für die Hypnotherapie oder ähnliche Psychoedukation bei funktionellen Bauchschmerzen?

 

Martin Claßen: Konkret meines Wissens noch nicht.

 

Axel Enninger: Ein Punkt, der mir sehr gut gefällt:

 

Frage: Wie ist die Aussagekraft des Gentests für Laktoseintoleranz?

 

Martin Claßen: Ähm, ja, spannende Frage! Natürlich ist es so, dass man mit diesem Polymorphismus, also dem Normalen in der Bevölkerung auf der Welt, nachweist, dass sich irgendwann im Leben ein Laktasemangel entwickelt. Dieser Test ist natürlich für Säuglinge Quatsch. Damit kann man nur sagen, es wird sich irgendwann einmal ein Laktasemangel entwickeln. Wir hatten ja eben gesagt, eine wesentliche Komponente, dass Beschwerden auftreten, ist auch die viszerale Hypersensitivität. Deswegen habe ich es ewig nicht mehr gemacht, muss ich sagen.

 

Axel Enninger: Also ich finde auch, dass es keinen vernünftigen Grund gibt. Du sagst es so ein bisschen vorsichtig. Ich finde, es gibt keinen vernünftigen Grund, weil wir keine Korrelation haben zwischen dem Konsum und der Klinik und weil es häufig dazu führt, dass man es bei Kindern unter einem Jahr macht, und das engrammiert sich bei Eltern. Das wollen wir eigentlich auf keinen Fall. Deswegen sehe ich keinen Grund für diesen genetischen Test.

 

Frage: Bei jedem Kind mit Laktosemalabsorption auch Zöliakie ausschließen?

 

Martin Claßen: Ja, es ist ja die Frage, warum man die Diagnostik gemacht hat. Wenn es Bauchschmerzen waren, würde man im Prinzip, um es komplett zu machen, das einmal mitbestimmen. Ich würde auch das Calprotectin trotzdem machen, auch wenn man eine Laktosemalabsorption hat. Wenn jetzt dieses somalische Kind nur mit der Änderung der Ernährung beschwerdefrei wird, dann muss man sich überlegen, ob man das machen muss. Wenn die genetische Basis relativ klar ist, weil sie emigriert sind, dann muss man, glaube ich, nicht unbedingt Zöliakie ausschließen.

 

Axel Enninger: Jetzt hoffe ich, dass ich die Frage gut verstehe.

 

Frage: Verdacht auf Zöliakie ohne Transglutaminase, aber schon ohne Gluten in der Ernährung – ist dann Genetik sinnvoll? Kommentar: Unsere Gastroenterologie schlug dem Patienten vor, drei Monate wieder Gluten zu essen, Kind hat aber bei einmaligen Glutenunfällen sofort wieder mit deutlichen Durchfällen reagiert.

 

Martin Claßen: Gibt’s ja manchmal so, dann kann man die Diagnose nicht sichern. Dann kann man nur sagen, es besteht im Moment eine Gluten- und/oder Weizenunverträglichkeit. Es kann ja genauso gut eine Weizenmehlallergie sein, die würde die gleichen Symptome machen. Aber man kann eben eine serologische Diagnostik oder auch eine bioptische Diagnostik für eine Zöliakie nur dann machen, wenn man ausreichend lange, ausreichend Gluten zugeführt hat, und da sind drei Monate noch knapp.

 

Axel Enninger: So steht es ja auch in der Zöliakie-Leitlinie. Da steht ausdrücklich: Diagnostik nur nach ausreichender Exposition. Die Frage war ja nach Genetik. Das ist ja vielleicht gar kein schlechter Punkt.

 

Martin Claßen: Okay, also, wir wissen, dass Zöliakie nur bei Menschen auftreten kann, die eine bestimmte HLA-Konstellation haben. HLA-DQ2 oder -DQ5 ist bei denen nachweisbar, aber auch bei 30 % der Normalbevölkerung. Wenn also bei diesem Patienten einer dieser HLA-Typen nachweisbar wäre, könnte man sagen, ja, die Zöliakie kann vorkommen. Wenn das nicht der Fall ist, dann könnte man sagen: Okay, es kann auch eine Weizenmehlallergie sein oder eine andere Form von Unverträglichkeit, aber keine Zöliakie. Also in dem negativen Fall wird es einem helfen, im positiven Fall muss man die Diagnosestellung verschieben. Ohne Expositionsmöglichkeit ist es nicht möglich.

 

Axel Enninger: Genau, aber da hätte ich jetzt auch gedacht, okay, immerhin. Also, wenn HLA-DG2, -DQ5, -DQ8 negativ sind, dann kann man sagen, es wird sehr wahrscheinlich keine Zöliakie sein, aber manchmal muss man eben damit leben. Dann ernährt man sie eben eine Weile glutenfrei und sagt: ‚Okay, wir machen zu einem späteren Zeitpunkt noch mal wieder eine Re-Exposition‘.

 

Martin Claßen: Genau. Aber nochmal: Diese HLA-Typen sind bei 30 % der Normalbevölkerung positiv, also die reine Genetik sagt oder beweist einem nichts.

 

Axel Enninger: Genau, nur die negative.

 

Frage: Wann wird denn Helicobacter eradiziert? Wenn der Atemtest positiv ist oder in der Gastro?

 

Axel Enninger: Naja, nur bei eindeutigen endoskopischen Entzündungsbefunden und wenn man ganz kritisch guckt, gibt’s eigentlich nur Evidenz fürs Ulkus. Aber Sie werden kaum einen Kinder-Gastroenterologen finden, der bei einer signifikanten Antrum-Gastritis und Helicobacter-Nachweis sagt: ‚Naja, wir behandeln trotzdem nicht.‘ Ich glaube, so gehen die allermeisten von uns vor.

 

Martin Claßen: Auch weil wir wissen, es ist auf lange Sicht natürlich auch ein Risiko für maligne Geschichten im Bereich des Magens. Also, da habe ich nie die reine Lehre gemacht, wenn jemand eine typische Helicobacter-Gastritis ohne Ulkus hatte, habe ich sie fast alle auch behandelt.

 

Axel Enninger: Ja, ich glaube, das machen wir alle so.

 

Frage: Welche Untersuchungen zur Diagnose einer bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung?

 

Martin Claßen: Also H2-Test Glukose, wobei, wenn man jetzt die Atemteste Fruktose und Laktose doch noch macht, dann gibt es zwei Kriterien. Einmal die hohe Nüchtern-Exhalation, das heißt, über 50 ppm sind ein Hinweis, und ein früher Anstieg, wobei man sagen muss, wenn man Fruktose in einer 10%igen Lösung gibt, haben sie fast alle schon nach 30 Minuten Anstieg. Das sagt eigentlich nichts. Wirklich beweisend ist eigentlich der Atemtest Glukose. Normalerweise wird Glukose im Dünndarm so schnell resorbiert, dass es nicht bakteriell besiedelte Darmabschnitte erreicht. Wenn er positiv ist, kann man schon von der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedelung ausgehen.

 

Frage: Welche Diagnostik bei chronisch-rezidivierender Übelkeit mit Bauchschmerzen?

 

Axel Enninger: Also die gleiche, oder?

 

Martin Claßen: Ja, im Prinzip die gleiche, aber einen Spruch sage ich meistens bei Übelkeitspatienten, dass Übelkeit eigentlich das unspezifischste Symptom ist, das man haben kann. Dann verweise ich auf Karussellfahren und Ekel vor irgendetwas und sage immer: ‚Man muss eben auch andere mögliche Ursachen, auch psychische Ursachen, mitbedenken.‘

 

Axel Enninger: Genau, manchmal findet man Dinge einfach zum Kotzen im wahrsten Sinne des Wortes. [Schmunzeln].

 

Frage: Okay, manchmal findet man bei Käse unter anderem den Vermerk „Lysozym aus Ei“. Wäre dieser Käse für ein Kind mit klinisch manifester Hühnereiweißallergie kritisch oder nicht? Zwei Gastroenterologen kriegen eine eindeutig allergologische Frage.

 

Martin Claßen: Oh, also, da bin ich ehrlich gesagt überfragt.

 

Axel Enninger: Ich bin auch überfragt.

 

Martin Claßen: Im Zweifel in der Praxis exponieren, aber ich weiß es nicht auswendig.

 

Axel Enninger: Ja, da können wir etwas kurz klarstellen. Da hattest du dich versprochen. Herr Klippstein sagt: Zöliakie HLA-DQ2 und -DQ8, du hast -DQ2 und -DQ5 gesagt.

 

Martin Claßen: Ja, Entschuldigung, genau.

 

Axel Enninger: Also ja, es ist richtig, 2 und 8.

 

Martin Claßen: Genau.

 

Frage: Welche Erreger erwartet man bei der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung?

 

Axel Enninger: Das kann ich vielleicht sagen. Alles, was auch im Dickdarm lebt, das ist ja Teil des Themas. Die Bakterien, die eigentlich in den Dickdarm gehören, sind weiter nach vorne in den Dünndarm gewandert. Insofern ist es eine bunte Mischung.

 

Martin Claßen: Aber eben viele Anaerobier und deswegen ist Metronidazol wirksam, ja.

 

Axel Enninger: Okay und letzte Frage, da habe ich immer ein Problem, die Abkürzung zu übersetzen.

 

Frage: NCWI = Weizenmehlallergie?

 

Martin Claßen: NCGS, non-coeliac wheat sensitivity.

Axel Enninger: Ich glaube, damit ist gemeint non-coeliac wheat intolerance. Genau, das denke ich. Und nein, es ist nicht eine Weizenallergie. Aber sag es vielleicht nochmal.

 

Martin Claßen: Das ist ein nicht so ganz einfaches Thema. In der Erwachsenenmedizin hat sich herausgestellt, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die formal keine Zöliakie haben, also keine Antikörper, normale Schleimhaut, vielleicht auch einen HLA-Typus, der nicht passt, und deren Bauchbeschwerden trotzdem besser werden, wenn sie auf Weizenmehl verzichten. Da hat man sich verschiedene Gedanken gemacht, was dafür verantwortlich ist. Das sind einmal bestimmte Kohlenhydrate, die im Weizenkorn drin sind. Viele Patienten berichten übrigens auch, dass, wenn sie Brot zu sich nehmen, das lange Gehzeiten für den Teig hat, dass sie es besser vertragen. Dass genau diese Kohlenhydrate anders aufgenommen sind, es gibt möglicherweise auch immunologische Faktoren, die im Weizenkorn drin sind, die das machen können und theoretisch könnte es auch eine Weizenmehlallergie sein, also gegen das Weizenprotein. Es ist die große Gruppe der nicht-zöliakieassoziierten Beschwerden des Bauches, die sich bessern. Fürs Kindes- und Jugendalter gibt’s nicht so richtig gute Daten, muss man sagen. Aber man erlebt immer wieder Patienten, die sagen: ‚Ich gebe meinem Kind jetzt eine glutenfreie Ernährung. Es geht deutlich besser.‘ Da wäre meine Botschaft, man muss irgendwann dann noch mal exponieren. Gehe ich davon aus, Zöliakie ist ausgeschlossen, würde ich immer noch mal exponieren. Glutenfreie Ernährung ohne eine Notwendigkeit ist sowohl was die Lebensqualität angeht als auch wahrscheinlich das Darmmikrobiom vielleicht auf Dauer nicht günstig. Und am besten wäre natürlich, wenn man es doppelblind exponiert, also sprich in der Klinik, in der Tagesklinik, in der Praxis Weizenmehl verkapselt zuführen und gucken, ob die Patienten reagieren.

 

Axel Enninger: Genau, wobei ich in der Tat glaube, wir essen ja normalerweise keinen puren Weizen, sondern wir essen Weizen in verarbeiteter Form. Ich bin großer Fan davon zu glauben, dass es etwas mit der Verarbeitung, mit den Teigführzeiten zu tun hat, dass einfach die Verträglichkeit bei langen Teigführzeiten deutlich besser ist, und ich empfehle dann immer, zunächst mal auf diese Schnellbackautomatenbrote und -brotprodukte zu verzichten.

 

Martin Claßen: Bei manchen geht dann auch Dinkel. Da ist auch Gluten drin, es wird aber oft gut vertragen.

 

Axel Enninger: Jetzt noch ein Kommentar. HLA-DQ7 kann auch mit Zöliakie einhergehen. Das kann ich jetzt weder bestätigen noch verneinen. Du auch nicht?

 

Martin Claßen: Vor allem 2 und 8.

 

Frage: Bei vollständig kuhmilchfreier Ernährung bei Kleinkindern und Schulkindern immer Kalziumsubstitution?

 

Martin Claßen: Ja, ich glaube, muss man machen.

 

Frage: Metronidazol – wie lange bei Dünndarmfehlbesiedlung?

 

Martin Claßen: Mindestens 7, eher 10 Tage.

 

Axel Enninger: Ja, und manchmal muss man es auch wiederholen. Bei der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung muss man dann mal 3 Wochen nicht behandeln, eine Woche behandeln und dann muss man nach einem Monat das Ganze nochmal wiederholen. Jetzt kriegen wir hier noch allergologische Nachhilfe. Das ist sehr schön. Patienten mit spezifischen IgE-Antikörpern gegen Gal d4 können nach unerwarteter Exposition mit Hühnereilysozymen, die in versteckter Form in pharmazeutischen Produkten und Nahrungsmitteln vorkommen, Reaktionen zeigen. Vielen Dank, Frau Juhasz. Berit Juhasz hilft uns hier allergologisch auf die Sprünge. Vielen Dank dafür. Das war auch der allerletzte Kommentar. Vielen, vielen Dank für die vielen Fragen. Das ist toll. So viele Fragen zeigen uns immer, dass wir mit dem Thema nicht völlig danebengelegen haben, sondern dass es offensichtlich ein relevantes Thema war, das auch für Sie wichtig war. Vielen herzlichen Dank fürs Zuschalten, Zuhören, Zugucken. Vielleicht war es auch für Sie interessant zu sehen, wie so ein Podcast normalerweise funktioniert. Manchmal sitzen wir auch nicht gemeinsam im Studio, sondern dann sitzen wir zu Hause, manchmal sitzen wir dann zu Hause, das können wir auch zeigen, dann sehen wir noch ganz anders aus. Dann haben wir nämlich… diese Dinger auf, dann sieht es noch professioneller aus. Das haben wir heute anders gemacht. Vielen, vielen Dank fürs Dabeisein. Wir freuen uns über Kommentare, wir freuen uns über Lob, wir freuen uns über Kritik, wir freuen uns auch über Anregungen für Themen zu Referenten, und wir freuen uns auch über positive Bewertungen da, wo Sie die Podcasts heruntergeladen haben. Und dann wünschen wir Ihnen einen schönen Abend. Vielen Dank fürs Dabeisein.

 

 

Hilfreiche Informationen

 

Bauchschmerz-Fragebogen. Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung. https://static1.squarespace.com/static/648adffcc7259d68c68b09f6/t/652927b1b2570057da126d8d/1697195953905/2201_Bauchschmerz-Anamnesebhttps://www.infectopharm.com/fortbildung/consilium/podcast/podcast-paediatrie/consilium-der-paediatrie-podcast-folge-34/ogen_GPGE%2B%281%29.pdf  www.gpge.eu. 

 

Erklärvideo zum Reizdarm – zur Weitergabe an Eltern und Kinder. https://www.youtube.com/watch?v=HfbUkdK0NHo.

 

Filmbeitrag des WDR zu funktionellen Bauchschmerzen, vor allem für Eltern und Kinder. https://www.youtube.com/watch?v=GJQ_xgy-c1k.

 

Patientenratgeber Bauchschmerzen. InfectoPharm & Consilium GmbH. Download und Bestellung: www.infectopharm.com. https://app.wissenwirkt.com/learn-opportunities/TGVhcm5PcHBvcnR1bml0eVYyOk5vZGU6ZjAzMmVkZjctMDVlZC00OThhLThjN2UtYTFkZGM5NjE0MGRh.

 

Leitlinie:

AWMF (2021) S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms. Registernummer 021–016. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/021-016.

 

Literatur:

Sukiennik J, Blaesing G, Krause R et al. (2014) Krefelder Bauchschmerztag. Monatsschrift Kinderheilkunde 7(162) 630–637.

 

Ortner GR & Claßen M (2022) Chronische Bauchschmerzen bei Schulkindern. Monatsschrift Kinderheilkunde 170(6) 560–570.

 

 

 

Kontakte:

Feedback zum Podcast? podcast@infectopharm.com

Homepage zum Podcast: www.infectopharm.com/consilium/podcast/

Für Fachkreise: www.wissenwirkt.com und App „Wissen wirkt.“ für Android und iOS

Homepage InfectoPharm: www.infectopharm.com

 

 

Disclaimer:

Der consilium – Pädiatrie-Podcast dient der neutralen medizinischen Information und Fortbildung für Ärzte. Für die Inhalte sind der Moderator und die Gäste verantwortlich, sie unterliegen dem wissenschaftlichen Wandel des Faches. Änderungen sind vorbehalten.

 

 

Impressum:

consilium ist eine Marke von

InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH

Von-Humboldt-Str. 1

64646 Heppenheim

 

Tel.: 06252 957000

Fax: 06252 958844

E-Mail: kontakt@infectopharm.com

 

Geschäftsführer: Philipp Zöller (Vors.), Michael Gilster, Dr. Markus Rudolph, Dr. Aldo Ammendola

Registergericht: Darmstadt – HRB 24623

USt.-IdNr.: DE 172949642

 

Verantwortlich für den Inhalt:

Dr. Markus Rudolph 

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Ihr Team von InfectoPharm

Willkommen bei InfectoPharm Deutschland.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die Inhalte dieser Website speziell auf Deutschland ausgerichtet sind. Es gibt länderspezifische Unterschiede, so dass z.B. Preise abweichen oder Präparate, die Sie auf dieser Website finden, in Ihrem Land nicht oder unter anderen Namen verfügbar sein können.

Datenschutzbestimmungen

Wir haben unsere Datenschutzbestimmungen aktualisiert.

Damit Ihr Nutzer-Account weiterhin aktiv bleibt, benötigen wir einmalig Ihre Zustimmung zu den neuen Bestimmungen.