consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #43 - 29.03.2024
consilium – der Pädiatrie-Podcast
mit Dr. Axel Enninger
Kardiologie in der pädiatrischen Praxis
Axel Enninger: Heute spreche ich mit:
PROF. DR. MATTHIAS GORENFLO.
DR. AXEL ENNINGER…
… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis
Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gast heute ist Professor Dr. Matthias Gorenflo. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, pädiatrischer Intensivmediziner und vor allem Kinderkardiologe. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am Universitätsklinikum in Heidelberg, und er ist der ärztliche Leiter des EMAH-Zentrums, Spezialambulanz für Erwachsene mit angeborenen Herzfehler. Herzlich willkommen!
Matthias Gorenflo: Danke!
Axel Enninger: Wir wollten heute gerne über ein paar Dinge sprechen, die den Kinderkardiologen immer wieder bewegen, und quasi Tipps aus der Trickkiste des Kinderkardiologen für den niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt besprechen. Und das ist für Sie als Kinderkardiologe immer auch die gute Gelegenheit, Wünsche an die Niedergelassenen loszuwerden und zu sagen: ‚Ah, Leute, das wünsche ich mir jetzt wirklich sehr, wenn ihr Kinder in eurer Praxis seht‘, und ich freue mich sehr auf unser Gespräch.
Matthias Gorenflo: Gerne!
Axel Enninger: Herr Gorenflo, lassen Sie es uns doch mal einfach machen! Da kommt in die Kinderarztpraxis ein Kind, das hat einen banalen Infekt, oder, sagen wir mal, es hat Durchfall. Nichts, was den Kinderkardiologen eigentlich betrifft. Haben Sie trotzdem Wünsche an den Niedergelassenen als Kinderkardiologe?
Immer Puls an allen Extremitäten und Blutdruck bei der Erstvorstellung
Matthias Gorenflo: Ja, es ist sicher so, dass kinderärztlich gut untersucht wird. Das möchte ich nicht infrage stellen. Was aus meiner Sicht bei jedem Kind obligat ist, zumindest, wenn man es zum ersten Mal sieht, dass man den Puls an allen vier Extremitäten tastet und somit beispielsweise auch eine Hauptschlagaderfehlbildung, Coarctation, mit diagnostizieren kann oder mit einer guten Näherung auch ausschließen kann. Blutdruckmessen ist ein sehr wichtiges Instrument, nicht nur in der adulten Medizin, sondern auch in der Kinderheilkunde, und Blutdruckmessung am rechten Arm mit einer entsprechend adäquat gewählten Manschette ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt bei der Evaluation eines Patienten.
Axel Enninger: Da würden Sie sagen – nehmen wir mal an, der Bursche kommt wegen eines Infekts, aber er hatte in der Woche davor eine normale Vorsorge, und der Kinder- und Jugendarzt hat das alles so gemacht, wie Sie sich das vorstellen. Dann muss er das jetzt nicht bei dem Infekt nochmal neu machen, oder?
Matthias Gorenflo: Wenn derjenige, der jetzt das zweite Mal das Kind sieht, derjenige ist, der auch die erste Untersuchung gemacht hat, dann ja. Wenn ich aber ein Kind zum ersten Mal sehe, glaube ich, ist das obligat.
Axel Enninger: Okay, also der Rat bei Erstvorstellung, einmal den Kardio-Basis-Check-up und nur nochmal zur Wiederholung: Pulse alle vier Extremitäten und Blutdruck am rechten Arm reicht Ihnen, oder wollen Sie einmal rundherum?
Matthias Gorenflo: Nein, also, das ist schon mal gut. Man muss immer damit rechnen, dass natürlich Zeit ein kostbares Gut ist, aber mit einer Blutdruckmessung am rechten Arm, Tasten von allen Pulsen der Extremitäten, dann kommt man schon genügend weiter, um bestimmte Dinge auszuschließen oder zu erfahren.
Altersabhängig Blutdruck-Normwerte bereit haben
Axel Enninger: Okay, und dann haben wir altersabhängige Blutdruck-Normwerte. Wo schaue ich die denn nach?
Matthias Gorenflo: Ja, ich habe so einen Link zur Verfügung gestellt, der von der deutschen Hochdruck-Liga auch entsprechend herausgegeben wurde. Frau Professor Wühl, hier von der Klinik in Heidelberg, hat federführend dran teilgenommen. Da gibt’s eine Tabelle, die man sich einmal wunderbar ausschneiden kann, neben das Blutdruckmessgerät legen kann. Da steht pro Alter der entsprechend höchste Normwert drauf, sodass man automatisch erfahren kann: Achtung, dieser Patient liegt deutlich drüber oder ist an der Grenze, und das hilft enorm!
Axel Enninger: Okay, das verlinken wir in die Gesprächsnotizen, aber für jetzt schon mal: Das ist www.hochdruckliga.de, richtig?
Matthias Gorenflo: Ja, korrekt, ich kann’s Ihnen sofort nochmal sagen, ich habe es hier. So, das ist das basiswissen-kinder.pdf unter hochdruckliga.de. Also unter hochdruckliga.de, wenn man das googelt, dann kommt man genau dahin.
Blutdruck: Welche Werte und wie messen?
Axel Enninger: Lohnt sich für diejenigen, die es noch nicht haben. Normwerte ist ja wirklich immer wieder eine schwierige Geschichte. Bei uns in der Klinik wird es zunehmend üblich, dass gar nicht mehr so richtig Blutdruckwerte, also systolisch / diastolisch, genannt werden, sondern häufig, und ich habe den Eindruck, je „intensiver“ es wird, umso häufiger wird es benutzt, dass vom MAD gesprochen wird. Reicht uns das oder reicht uns das nicht? Wie zufrieden sind Sie als Kinderkardiologe damit?
Matthias Gorenflo: Also, natürlich ist vor allem im stationären Bereich und vor allem auch im Intensiv-Setting ein mittlerer arterieller Druck eine wesentliche Kenngröße für die Organperfusion oder für die Kraft, die die Organperfusion aufrecht erhält. Dennoch denke ich, dass die Angabe von einem systolischen / diastolischen Druck in der klassischen Weise extrem wichtig ist, weil uns ja auch die Amplitude eine ganze Menge verrät. Beispielsweise bei einer schweren Aorteninsuffizienz habe ich eine hohe Blutdruckamplitude. Ich werde hohen systolischen, niedrigen diastolische Druck haben, bei unter Umständen völlig normalem MAD.
Axel Enninger: Und messen wir noch Blutdruck? Also eigentlich, sag ich mal, ist die Alltagsroutine ja, wir messen gar nicht mehr Blutdruck, so wie wir es mal gelernt haben, mit Stethoskop und Manschette und Hören, sondern wir benutzen eine Maschine. Wie gut sind die denn? Wie verlässlich ist denn das?
Matthias Gorenflo: Also, die oszillometrische Messung hat naturgemäß eben ihren Fehler dann, wenn die Organperfusion zum Beispiel auch an der Grenze ist. Ich kann durchaus auch bei einem Patienten, der im Kreislaufschock ist, einen Blutdruck messen, der überhaupt nicht mehr so vorhanden ist. Das muss man wissen. Trotzdem sind diese Geräte sinnvoll, mit der richtigen Manschette angewendet und natürlich auch im richtigen Set-up. Ich denke, in der Praxis werden die wenigsten Kinder im Schockzustand kommen, sondern sie werden von Eltern gebracht, kommen zu Fuß oder mit dem Buggy oder wie auch immer zum Kinderarzt und erfahren dann dort eben eine Blutdruckmessung. Und bei den Patienten ist es zumindest in der Näherung eine sehr gute Abbildung von dem zu erwartenden, realen Blutdruckwert, wenn man ihn denn blutig messen würde, was man natürlich nicht macht.
Axel Enninger: Welche Rolle spielt denn das Thema „Aufregung“ bei Kindern? Also bei Erwachsenen weiß man es. Da gibt es diese „white coat hypertension“. Immer wenn ein Arzt sich mir nur nähert, kriege ich hohen Blutdruck. Kinder finden es nicht immer lustig, ihren Blutdruck gemessen zu bekommen, brüllen manchmal ziemlich rum. Kann ich damit irgendetwas anfangen, mit so einem Wert?
Matthias Gorenflo: In der Regel – das macht es auch schwierig – ist es leider so: Ein Wert bei Aufregung, bei einem unruhigen Kind, wird es erst mal rein von der Messwertmethode nicht gut sein, unter Umständen wird es gar nicht funktionieren. Das Gerät liefert mir eine Fehlermeldung. Ich kann bei diesem Kind keinen Blutdruck messen. Bei der oszillometrischen Messung steigt der Apparat dann aus. Wenn der Blutdruck zwar messbar ist, aber dann zu hoch, muss man natürlich die Gemütslage des Kindes mit einbeziehen in die Bewertung. Ich weiß, es ist eine undankbare Aufgabe. Letztendlich heißt es dann, dass man eine Chance zu einem Zeitpunkt x haben muss, dann auch mal einen Blutdruck zu messen, von dem man sagt, der ist in einer halbwegs ruhigen und Nicht-Schreiphase aufgenommen, denn selbstverständlich steigt der Blutdruck bei Agitiertheit an. Das wissen wir ja aus der adulten Population, von zahlreichen Messungen aus Fußballstadien, wo Spitzenwerte dokumentiert werden, sowohl im venösen System, in der Pulmonararterie, wie auch beim arteriellen Blutdruck.
Wann an Herzinsuffizienz denken?
Axel Enninger: Okay, das unterstreicht wieder die eminent wichtige Rolle unserer MFAs, Schrägstrich, unserer Kinderkrankenschwestern, die einfach da den entscheidenden Moment abpassen und immer wieder auch alle ihre professionellen Tricks anwenden. Ohne diese Berufsgruppen wären wir Ärzte gar nichts. Da kann man vielleicht jetzt auch mal hier ein herzliches Dankeschön sagen. Worüber wir heute nicht reden, ist über Synkopen, weil wir eine eigene Podcastfolge mit dem Thema Synkopen haben, mit Herrn Professor Kerst, hier bei uns aus dem Olgahospital. Wenn wir daran denken, dass das Herz nicht richtig tut, denken wir automatisch an Herzinsuffizienz, und wir, die wir gestraft wurden mit diesen „Kreuzeltests“, wussten alle: irgendwie dicke Beine, Ödeme ist sozusagen klassisches Herzinsuffizienz-Zeichen. Jetzt sind wir in der Kinderheilkunde, da ist ja manches ein bisschen anders. Worauf achtet denn der Kinderkardiologe, bzw. wann denkt der Kinderkardiologe: ‚Upps, da könnte eine Herzinsuffizienz dahinterstehen‘?
Matthias Gorenflo: Letztendlich fängt es da schon mit der Anamnese an und dem Bericht der Eltern, die zum Beispiel dann, ganz banal, beim Säugling erwähnen, dass das Kind anders aussieht, weil ein junger Säugling seine Ödeme eben im Gesichtsbereich ablagert und dementsprechend dann die Augenlider anschwellen und das Gesicht anders aussieht. Man merkt es im Säuglingsalter – auch wiederum anamnestische Daten – daran, wie das Trinkverhalten ist. Trinken ist das, was einen Säugling am meisten anstrengt. Dementsprechend wird er dann, wenn er herzinsuffizient ist, weniger trinken, unruhiger trinken, nicht vollständig trinken. Das sind alles Dinge, die wir schon über die Anamnese herausbekommen. Schnelles Schwitzen, dass Eltern berichten, dem Kind muss zweimal pro Nacht der Body gewechselt werden, weil es klatschnass ist, obwohl die Umgebungstemperatur und die Decke, die man halt dann so wählt, wie es der Jahreszeit angemessen ist, passt. Trotzdem massives Schwitzen, Tachypnoe, auch das merken einzelne Eltern, berichten, dass das Kind beschleunigt atmet. Das sind erst mal alles einfache Zeichen, jetzt beim Säugling. Von daher ist das die Kombination, die im Säuglingsalter in Frage kommt. Bei älteren Kindern, Kleinkinder, Schulalter sind es dann schon die klassischen Dinge wie, dass die Belastbarkeit auf einmal zurückgeht. Also auf einmal gehen bestimmte Dinge nicht mehr, die früher gingen, und man darf dabei nicht unterschätzen, dass Kinder in aller Regel immer alles versuchen zu leisten und sich dann selbst zurücknehmen. Beispielsweise ein Kindergartenkind wird dann häufiger in die Ruhe-Ecke gehen, also sind es auch Verhaltensänderungen, weil Kinder eben weniger klagen als Erwachsene.
Axel Enninger: Das heißt, auf subtilere Zeichen achten, und beim Säugling: Das, was wir beim Erwachsenen denken, wir können die Ödeme, die etwas mit der Niere zu tun haben und die Ödeme, die etwas mit dem Herzen zu tun haben, klinisch voneinander unterscheiden, da sagen Sie: ‚Ödem im Gesicht kann durchaus auch kardiale Ursache sein, muss nicht das nephrotische Syndrom sein.‘
Matthias Gorenflo: Genau, im Säuglingsalter auf jeden Fall.
Seltene Differenzialdiagnose beim übermäßig schreienden Säugling
Axel Enninger: Ansonsten schlechte Belastbarkeit bei den älteren Kindern ist sicher ein Thema. Gibt es denn Dinge, wo Sie sagen: ‚Ah, liebe Kinderärzte, denkt mal dran! Ich erinnere mich an zwei, drei Fälle, wo Symptom x doch etwas mit dem Herzen zu tun hatte und wo man vielleicht nicht so unbedingt dran gedacht hat‘?
Matthias Gorenflo: Ja, es ist zum Beispiel der chronisch schreiende Säugling, der ja in der Pädiatrie ein häufiges Problem ist, und es sind vielschichtige Ursachen. Eine kardiale Ursache ist leider der fehlortige Ursprung der linken Kranzarterie, die dann in die Pulmonalarterie einmündet, was letztendlich zum Substratverlust für das Herz führt, zu Minderperfusion und dann ähnlich wie beim Erwachsenen zu Ischämie, und das tut weh. Und dementsprechend schreit auch ein Säugling vor Schmerzen, weil er eben quasi Infarktschmerzen hat. Das ist Gott sei Dank ein sehr seltenes Krankheitsbild, ja. Es ist aber leider auch ein sehr gravierendes, und wenn ich die Kombination habe von einem sehr schrill schreienden Säugling, der kaum zu beruhigen ist, plus Tachypnoe, plus entsprechende auskultatorisch möglicherweise feinblasige Rasselgeräusche, dann ist es unter Umständen dieses Kind, was eben diesen fehlortigen Ursprung der Kranzarterie hat und dementsprechend massiv herzinsuffizient zur Diagnose kommt.
Axel Enninger: Spannend! Also Differenzialdiagnose des anhaltenden Schreiens. Da denkt der Kinder-Gastroenterologe wie ich natürlich immer an die Invagination, aber wenn es die nicht ist, darf man durchaus auch an das Herz denken. Ich kann mich jetzt gar nicht erinnern, dass wir über unsere Notaufnahme in letzter Zeit ein solches Kind aufgenommen haben. Wie oft sehen Sie das so?
Matthias Gorenflo: Also, wenn man in einer Klinik arbeitet, die, ja, plus/minus 400 Herz-OPs pro Jahr macht und eine Umgebung von etwa 160 Kilometern versorgt, dann sehen Sie es durchaus ein-, zweimal pro Jahr, in dieser Frequenz etwa. Es liegt unter einem Prozent aller angeborenen Herzfehler, das ist schon richtig, so dass es nur einige Patienten betrifft in einem größeren Kollektiv. Dadurch, dass es aber ansonsten – nicht erkannt – zum Tode führt, umgekehrt eine gute therapeutische Chance hat, wenn man mit moderner Herzchirurgie das Problem dahingehend wieder normalisiert und beseitigt, indem man die Kranzarterie dahin bringt, wo sie eigentlich hingehört, beziehungsweise einen Bypass auf die Kranzarterie näht, ist es umso wichtiger herauszufinden, dass ein Patient eben genau dieses Problem hat. Das Schwierige ist die Seltenheit, ja!
Axel Enninger: Und der Doktor in der Notaufnahme macht dann was? Was ist quasi dann das, was uns am Ende zur Diagnose führt, außer dem Echo natürlich, aber das mach ich ja nicht sofort.
Stellenwert des Stethoskops
Matthias Gorenflo: Ich glaube, für den Doktor in der Notaufnahme ist das Drandenken schon mal enorm wichtig. Das Stethoskop ist nach wie vor eine mächtige Waffe des Kinderarztes. Man kann nämlich, geübt, durchaus hören, dass diese Patienten in aller Regel einen vierten Herzton haben, der da überhaupt nicht hingehört. Hört sich dann an wie ein Pferdchen, das über die Wiese läuft [macht Galoppgeräusch nach], und das ist ein völlig anderer Rhythmus als ein normaler erster und zweiter Herzton, oder noch einen dritten dabei, der physiologisch sein kann. Aber der Vierte ist nie physiologisch, und das zum Beispiel in der Kombination mit dem Bild einer eher obstruktiven Bronchitis. Sie sehen einen grauweißen Säugling, der tachypnoisch ist, einen Galopprhythmus hat und dann noch ein exspiratorisches Weezing, das ist hoch-verdächtig auf eine schwerste Herzinsuffizienz.
Rhythmusstörungen – anders als bei Erwachsenen
Axel Enninger: Okay! Good old-fashioned doctor. Gucken und Stethoskop benutzen und nicht gleich nach dem Echo schreien ist sowieso gut. Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte tun das natürlich regelhaft, weil sie nicht immer ein Echo zur Verfügung haben. Aber auch unsere jungen Klinikärzte, ja, der eine oder andere neigt vielleicht schon dazu, das Stethoskop eher unterzubewerten, sagen wir es mal vorsichtig. Also gut. Vierter Herzton wär klinisch das, wo Sie sagen würden: ‚Also, Leute, hört mal aufs Herz, und wenn da irgendwas komisch ist, dann werdet hellhörig!‘ Okay. Das war jetzt die Geschichte „Herzinsuffizienz“. Dann ist ja etwas relativ Häufiges, das auch in den Praxen und auch in den Notaufnahmen auftaucht, Rhythmusstörungen, und da meistens ja Tachykardie. Also tachykarde Rhythmusstörungen sind ja durchaus etwas Häufiges. Gibt’s da wesentliche Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen?
Matthias Gorenflo: Ja, bei Kindern haben wir als häufigste Form die supraventrikulären Herzrhythmusstörungen, supraventrikuläre Tachykardien. Beim Erwachsenen dann eher Vorhofflattern oder bei ischämischer Herzmuskelerkrankung dann auch die entsprechenden ventrikulären Tachykardien. Es sind, wie gesagt, im Kindesalter die Supraventrikulären. Wir haben im Kindesalter für die supraventrikulären Tachykardien Häufigkeitsgipfel im ersten Lebensjahr als Reentry-Tachykardien, die da sehr häufig sind, und einer der wesentlichen Unterschiede, der auch für mich nach wie vor faszinierend ist, ist, dass ein junger Säugling mit einer Reentry-Tachykardie, Frequenz von 250 bis 280, durchaus auf dem Arm der Mutter am Abend in die Ambulanz kommen kann, weil er auffällt durch Trinkschwierigkeiten, beispielsweise, ja, was im Erwachsenenalter mit einem sofortigen Kreislaufzusammenbruch verbunden wäre.
Axel Enninger: Okay, also, supraventrikuläre Tachykardie ist tatsächlich etwas, das die Kinder von den Erwachsenen in der Häufigkeit unterscheidet, also quasi: Der „rattert los“ aus irgendeinem Grund, und wenn sie jetzt „losrattern“, was machen wir diagnostisch, therapeutisch, wie kriegen wir das raus? Was machen wir wo?
Matthias Gorenflo: Ja, also, ich glaube, der Niedergelassene, der wird die Tachykardie als solche diagnostizieren. Im Niedergelassenenbereich gehört nach wie vor das EKG zur kinderärztlichen Ausbildung und zur Domäne. Ich gehe davon aus, dass viele, die ein EKG haben, dann auch den Rhythmus als solchen dokumentieren können und dann, wenn das eine schmalbasische Tachykardie ist, dann unter Umständen vor Ort schon anfangen können mit symptomatischen Maßnahmen, indem sie beispielsweise ein Cool-Pack dem Säugling ins Gesicht drücken, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass das Rettungssystem aktiviert wird, dass der Patient dann in jedem Fall in eine Notaufnahme gebracht wird, wenn er länger in solcher Tachykardie ist.
Axel Enninger: Okay! Gibt’s da Grenzwerte, wo Sie sagen: ‚Leute, die wollen wir auf alle Fälle sehen!‘
Matthias Gorenflo: Ja, ich glaube, das ist der Patient, der auch sichtbar zirkulatorisch eingeschränkt ist, und vor allem der Patient, bei dem es nicht bekannt ist. Ich denke, es ist durchaus so, dass Eltern mit dem Kind zum Kinderarzt gehen, bei dem bereits eine diagnostizierte supraventrikuläre Tachykardie, die unter Medikation dann bekannt ist, und da ist es natürlich absolut okay, wenn der vor Ort befindliche Kollege oder Kollegin nachschaut, wie ist die Frequenz, wie ist der Zustand des Kindes. Kann man Rücksprache mit dem Zentrum halten und unter Umständen an der Dosis akut etwas ändern? Muss der Patient dann in die Klinik? Wollen wir warten? Alles Möglichkeiten. Beim jungen Säugling, dem es nicht gut geht: Der muss kommen.
Tachykardie, schmaler oder breiter QRS-Komplex
Axel Enninger: Sie haben vorhin gesagt, wenn sie schmal sind – also schmal, wir reden da jetzt über die QRS-Komplexe – aber bei einer Tachykardie von 180, sind die nicht immer schmal?
Matthias Gorenflo: Nein, das muss nicht sein. Es gibt auch die Reentry-Tachykardie sogar mit breitem QRS-Komplex, weil über einen sogenannten Aporisationsblock, das heißt, wenn Bahnen so oft benutzt werden, dann werden sie auch teilweise müde. Die Erregungsausbreitung läuft dann eher langsamer. Das heißt auch bei einer klassischen supraventrikulären Reentry-Tachykardie kann leider auch der QRS-Komplex breiter werden, richtig! Aber im Unterschied zu einer ventrikulären Tachykardie habe ich dann meistens eine fixe Koppelung von einem P zu einem R, wenn es ein P gibt, oder umgekehrt. Bei der ventrikulären habe ich eingestreut oft P-Wellen, die gar nichts mit dem QRS-Komplex zu tun haben, was wiederum diagnostisch für die ventrikuläre Tachykardie ist.
Axel Enninger: Okay, haben wir alle irgendwie mal gelernt. Aber natürlich, wenn wir beide uns mal in die Schuhe des Niedergelassenen stellen, der alleine in seiner Praxis steht, der ein Kind hat, dem es a) nicht gut geht, b) man denkt: ‚Jetzt müssen wir den Notdienst bestellen!‘ und c) machen wir noch ein EKG. Da sehen wir jede übersehene P-Welle durchaus nach, oder?
Matthias Gorenflo: Absolut.
Axel Enninger: Also, das ist toll, wenn der Niedergelassen das macht, aber niemand von uns würde danach die Nase rümpfen oder würde sagen: ‚Hat er wieder nicht gesehen!‘ Machen wir nicht, oder?
Matthias Gorenflo: Das ist vollkommen richtig, weil, ich darf Ihnen das auch sagen, es dauert auch in der Klinik oftmals einen Tag oder zwei und drei und vier EKGs, wenn die Tachykardie wiederkommt, bis man diese schwierige Unterscheidung dann dort treffen kann. Ganz klar, das ist manchmal nicht trivial.
Medizingeschichte und ein Kopfstand, der selbst Yogis hilft
Axel Enninger: Okay, also, wir freuen uns über ein EGK, wir freuen uns auch gerne über einen mitgebrachten Streifen. Das hilft auch durchaus, wenn man es aus der Praxis mitkriegt. Und Klassiker wie Cool-Pack ins Gesicht, macht man das noch? Was macht man noch? Also, man hat ja früher jede Menge Sachen gelernt, also Eis, Bulbusdruck, Carotisdruck. Was davon ist noch okay, was darf man nicht mehr?
Matthias Gorenflo: Ja, also in der Praxis werden jetzt vielleicht viele, die dort arbeiten, einwenden und sagen: ‚Moment mal, ich bin kein Orthopäde, ich habe keine Cool-Packs, die ich dann jemand aufs Knie geben kann, und die habe ich in der Kinderarztpraxis sowieso nicht.‘ Gut, dann macht er gar nichts, ist auch gut – und guckt, dass der Patient kommt. Wenn man sie hat und damit Erfahrung hat, dann kann man damit anfangen, wenn man sich sicher ist. Ansonsten, wenn sie bei uns sind, die Patienten, mit entsprechendem i.v.-Zugang, dann werden wir sehr wohl erst mal diese symptomatischen Maßnahmen machen. Wenn wir eine schmalbasische Tachykardie haben, mit Cool-Packs im Gesicht arbeiten. Das sieht vielleicht nicht schön aus, ist aber effektiv und schadet dem Kind auch nicht. Furor, der dann entsteht beim Kind, führt dazu, dass es eben zu einem massiven Vagusreiz kommt, und darüber wird dann die Tachykardie unterbrochen.
Axel Enninger: Wie lange mache ich das?
Matthias Gorenflo: Ja, das macht man schon mal ein, zwei Minuten, gucken, dass die Atmung natürlich nicht verlegt wird, und dann schauen wir mal, ob ein Effekt da ist, oder ob das zu gar nichts führt.
Axel Enninger: Das können wir vielleicht auch den jungen KollegInnen in der Notfallambulanz sagen. Man ist dann nicht der allerbeliebteste, die allerbeliebteste Ärztin. Da kommen Eltern mit einem Kind, dem es nicht gut geht, und dann macht man so etwas Böses wie Cool-Pack ins Gesicht drücken. Aber es ist effektiv, da muss man dann auch so ein bisschen die strengen Blicke der Eltern aushalten.
Matthias Gorenflo: Ja, ich glaube, wenn man sagt, warum man das tut, wird auch Verständnis vorherrschen. Es ist natürlich in dem Sinne kein schöner Anblick, aber es ist halt effektiv, und es ist sicher in der Anwendung, sicherer als irgendein Medikament, wenn es funktioniert. Wenn es nicht funktioniert, dann muss man eben auf die medikamentösen Maßnahmen gehen.
Axel Enninger: Okay, und an physikalischen Maßnahmen, was ich vorhin gesagt habe: Carotis, Bulbus, macht man so etwas noch?
Matthias Gorenflo: Das ist Geschichte! Also, niemand sollte mehr einen Bulbus drücken. Das ist viel zu gefährlich, und das ist einfach Geschichte der Medizin. Und Carotis einem Säugling und überhaupt zu drücken, das kann ich auch niemandem empfehlen. Das machen wir auch nicht mehr und andere auch nicht.
Axel Enninger: Und dann haben Sie vorhin gesagt, es geht eigentlich darum, sozusagen Ärger beim Kind auszulösen, damit durch diesen Ärger mal richtig viel Vagus-Stimulation kommt. Gibt es noch andere Tricks außer dem Cool-Pack?
Matthias Gorenflo: Ja! Bei älteren Kindern, die zum Beispiel schon laufen können, da kann man einen Kopfstand machen. Den Kopfstand habe ich aus meiner Tätigkeit in Belgien mitgebracht als hoch-effektive Maßnahme, die auch in Deutschland funktioniert, um eine supraventrikuläre Tachykardie zu unterbrechen. Das ist effektiv, eine der Maßnahmen, die letztendlich auch noch mit „Bordmitteln“ ausgelöst werden kann. Das Auslösen von Erbrechen ist schon eine andere Kategorie. Da darf man nicht alleine sein, sollte man Patienten auch nicht alleine empfehlen. Man muss dann schon in der Situation sein, wo man sagt, ich kann das kontrollieren, wenn ich das anwende.
Axel Enninger: Okay. Also, das mit dem Kopfstand ist jetzt nicht irgendwie so eine „Gorenflo: persönliche Nummer“, sondern da gibt es schon Daten dafür?
Matthias Gorenflo: Also ja, ich kann Ihnen sagen, dass das in Flandern hoch-effektiv bei 6 Millionen Menschen in dem Einzugsgebiet angewendet wurde. Ja.
Axel Enninger: Okay, aber das heißt, die dürfen gar nicht gut trainiert sein im Kopfstand, weil, wenn sie das ganz cool und ohne Aufregung machen, ist wieder blöd?
Matthias Gorenflo: Ja, derjenige der Kopfstand macht, muss sich auch nicht aufregen, da wirkt schon die Blutmenge, die in den Kopf läuft, die dann den entsprechenden Vagusreiz auslöst.
Axel Enninger: Das heißt, einer, der in Yoga trainiert ist und Kopfstand kann, dem kann man sagen: ‚Jetzt mach mal Kopfstand hier!‘
Matthias Gorenflo: Ja, wenn es prinzipiell funktioniert, wird auch der davon profitieren, auch wenn er sonst viel Kopfstand macht, wenn er keine Tachykardie hat.
Axel Enninger: Okay, also hab ich noch nie gehört. Sehr spannend! Sie hatten das Erbrechen als eine Option erwähnt, sich der supraventrikulären Tachykardie zu nähern. Das klingt ja ein bisschen gemein und ein bisschen brutal. Kann man das mit allen Kindern machen?
Matthias Gorenflo: Das geht selbstverständlich nur, wenn jemand kooperativ ist, also nicht beim Säugling, nicht beim Kleinkind. Das geht bei jungen Erwachsenen und bei Schulkindern, die man entsprechend instruieren kann.
Medikamentöse Therapie und „Demaskierung“
Axel Enninger: Okay. Also nicht bei Säuglingen Erbrechen induzieren. Also, Cool-Pack kennen wir, Bulbusdruck machen wir auf keinen Fall mehr, Carotisdruck machen wir auch auf keinen Fall mehr. Kopfstand ist eine Möglichkeit, und Erbrechen induzieren ist auch eine Möglichkeit, die jetzt kinderkardiologisch „approved“ ist und die man durchaus mal versuchen könnte. So und jetzt haben wir das alles gemacht, und die sind jetzt bei uns in der Klinik, und das hilft aber alles nicht. Was machen wir dann?
Matthias Gorenflo: Ja, dann ist es so, dass wir medikamentös erstmal die Tachykardie als solche diagnostisch eingrenzen. Es ist so, dass wir mit dem Adenosin heute ein Medikament haben, das über eine AV-Blockierung dabei hilft, eine ventrikuläre von der supraventikulären Tachykardie zu unterscheiden, Punkt a) oder auch von der atrial-ektopen, dass man die demaskiert, und b) über die AV-Blockierung bei der supraventrikulären Tachykardie dann dazu führt, dass der Reentry-Mechanismus durchbrochen wird und damit die Tachykardie steht und wieder in Sinus überführt wird.
Axel Enninger: Das heißt, das ist therapeutisch bei der supraventrikulären und diagnostisch, wenn’s nicht hilft, um dann zu sagen: ‚Dann war es wahrscheinlich doch nicht supraventrikulär‘, korrekt?
Matthias Gorenflo: Korrekt, und es wird ja in wachsenden Dosen gegeben: 100, 200, 300 Mikrogramm und so weiter. Man kann dann eine AV-Blockierung damit erzeugen, muss aber natürlich dabei auch dafür Sorge tragen, dass ich den Patienten gut überwache. Macht ein thorakales Engegefühl, kann Bronchoobstruktion auslösen, kann auch zu schweren Rhythmusstörungen selber führen. Von daher ist es nichts, was man mal so eben macht, also definitiv nicht mal soeben in der Praxis, aber auch nicht so eben in der Klinik.
Axel Enninger: Wer darf das in Heidelberg? Wo?
Matthias Gorenflo: Wir machen es, praktisch als Hausregel, auf der Intensivstation. Wir machen es nicht auf Normalstation, da gelten wir gerne alles unsportlich. Aber ich brauche entweder einen Eingriffsraum mit entsprechendem Assistenzpersonal, Überwachung zu zweit, Defi, der geschmiert ist, Euphyllin aufgezogen, entsprechende Notfallmedikamente griffbereit, Tubus, Absaugung. Also gut ausgestattet ja, nicht auf Normalstation!
Axel Enninger: Passiert ja irgendwie selten, gell, dass es dabei Ärger gibt. Trotzdem Intensivstation, bzw. Intensiv-Setting je nach Klinik und vor allem auch Leute, die dann wissen, was sie machen, wenn es schief geht.
Matthias Gorenflo: Genau. Also, das mögen andere, in anderen Setups, was die Räumlichkeiten angeht, anders entscheiden, aber ich glaube, wo Konsens herrscht, ist, dass man das nur durch Leute machen lässt, die Kolleginnen und Kollegen, die erfahren sind, die nicht alleine sind, die entsprechende Überwachungs- und therapeutische Eingriffsmöglichkeiten haben, ja.
Herzgeräusche zu einem Drittel, meist akzidentiell und harmlos
Axel Enninger: Lassen Sie uns mal das Thema wechseln. Also, als wir uns „Kinderkardiologie“ überlegt hatten, hatte ich gedacht, wir müssen ganz viel über Herzgeräusche und Abklärung von Herzgeräuschen sprechen. Ist das immer noch einer der wesentlichen Gründe, warum jemand zu Ihnen kommt, oder ist es das gar nicht mehr so sehr?
Matthias Gorenflo: Doch, das ist schon noch so. Das erstmals auffällig gewordene Geräusch, entweder bei einer U-Untersuchung oder bei einer zufälligen anderen Untersuchung, ist sicher ein wesentlicher Vorstellungsgrund beim Kinderkardiologen, draußen wie auch hier in der Klinik. Natürlich seltener, weil die niedergelassenen Kinderkardiologen, bereits so eine Menge an Patienten diagnostizieren, dass wir die alle so gar nicht sehen, wo wir natürlich auch dankbar sind. Ein Drittel aller Kinder hat ein sogenanntes akzidentelles Herzgeräusch. Das ist nichts anderes als „Motorenlärm“. Ich hab ein normal strukturiertes Herz, unter Umständen noch eine ehemalige embryonal vorhandene Arterie im linken Ventrikel, die zum fibrotischen Strang geworden ist. Völlig harmlos, führt aber dazu, dass die Blutsäule diese Struktur zum Schwingen bringen kann und ich dann ein Geräuschphänomen erzeugen kann. Es klingt klassisch sogar musikalisch. Deshalb haben es unsere Vorgänger noch im letzten Jahrhundert und im vorletzten als „musikalisches Herznebengeräusch“ bezeichnet, weil es genau so klingt.
Axel Enninger: Und ein Drittel gilt für alle Altersgruppen, oder wird es irgendwie weniger oder wie ist das?
Matthias Gorenflo: Genau, das wird weniger. Es sind meistens Kleinkinder, Schulkinder und auch Säuglinge, die kommen. Wenn man Erwachsene hat, das wäre praktisch eine absolute Rarität. Da hört man meistens den „Motorenlärm“, nenne ich es jetzt mal, gar nicht mehr, weil der Abstand Herz zur Brustwand einfach größer wird und deshalb die physikalische Transmission des Schalls da nicht so weit kommt, dass es überhaupt mit dem Stethoskop zu erfassen ist.
Axel Enninger: Okay, also, ein Drittel der kleinen Kinder hat ein Herzgeräusch, musikalisch der Charakter. Da fragt man sich immer: ‚Kann ich das als Berufsanfänger so gut identifizieren?‘ Ist Lageabhängigkeit noch ein Kriterium, oder ist das auch so ein Märchen von früher?
Matthias Gorenflo: Ja, es ist im Stehen da, im Liegen nicht, das gibts schon mal, und es wechselt auch mal da, mal nicht da. Das sind alles Kriterien, absolut richtig. Es ist aber so, um es klar zu sagen, was wir auch immer machen, wenn das Geräusch zwar so klingt, das EKG ist normal, Sättigung ist normal. Auch ganz wichtig, dass der Patient eine normale Sättigung hat. Wir machen im Jahr 2023 selbstverständlich immer ein Echo, aber eines dann nur. Das wird einmal diagnostiziert als strukturell unauffälliges Herz mit dem Geräusch, und dann die Eltern dahingehend informiert, dass das völlig harmlos ist und sie auch nicht mehr kommen müssen. Es wird nicht kontrolliert.
Axel Enninger: Aber das heißt auch im Jahr 2023/2024: Kind kommt zu Ihnen. Sie sind ein erfahrener Kinderkardiologe, Sie werden wahrscheinlich mit sehr, sehr hoher Treffersicherheit sagen, das ist ein akzidentelles Herzgeräusch. Sie machen trotzdem ein Echo?
Matthias Gorenflo: Korrekt. Ich glaube, das wird auch von allen Kinderkardiologinnen und Kinderkardiologen so gehandhabt, mit gutem Ansatz, mit gutem Hintergrund. Ja.
Axel Enninger: Okay, also, einmal ein Echo und dann Haken dran: akzidentelles Herzgeräusch.
Matthias Gorenflo: Genau. Ja.
Indikation zur dringenden Abklärung?
Axel Enninger: Okay, die allermeisten niedergelassenen KinderkardiologInnen kriegen das ja sicher gut hin. Dennoch gibt es ja so ein bisschen den Impuls, nach dem Motto: ‚Uah, da ist ein Herzgeräusch, und das kannten wir bislang noch nicht.‘ Im Zweifelsfall landen doch die Anrufe besorgter Eltern bei Ihnen in der Sprechstunde, und sie sagen: ‚Wir brauchen jetzt ganz dringend einen Termin.‘
Matthias Gorenflo: Ja, das ist schon so, nur auch da ist die Anamnese wieder extrem mächtig. Ein neu aufgetretenes Herzgeräusch in der Neugeborenen- und Säuglingszeit hat sicher einen anderen Stellenwert, als wenn das jetzt bei einem Vier-, Fünf-, Sechsjährigen, der -zig Untersuchungen vor sich hat, hinter sich gebracht hat, neu auftritt. Und dann hat es in aller Regel die Zeit, die man braucht, bis man elektiv einen Termin kriegen kann, wenn es dem Kind sonst gut geht.
Axel Enninger: Wer kriegt einen flotten Termin bei Ihnen?
Matthias Gorenflo: Einen flotten Termin kriegen Neugeborene und Säuglinge, ganz klar!
Axel Enninger: Okay, und die anderen, klar, sind älter, sind damit schon älter geworden, also ist es mit hoher Wahrscheinlich kein Notfall. Aber Säuglinge und Neugeborene, wo wir das vorher nicht wussten, da darf man dann schon mal anrufen und sagen: ‚Wir brauchen jetzt aber ganz schnell einen Termin!‘
Matthias Gorenflo: Ja, ich glaube, das ist schon, gerade, wenn es Neugeborene sind, extrem wichtig. Da sollte man nicht die Sonne untergehen lassen, bevor man geguckt hat, woher das Geräusch kommt. Das ist zwar dann, dass man sagt, ja ein bisschen Trikuspidalinsuffizienz, noch ein bisschen Ductus, der sich jetzt gerade verschließt, das sind aber Spekulationen. Ich habe im eigenen Erfahrungsgut einen persönlich erlebten Fall von einem unterbrochenen Aortenbogen mit einer ganz normal gestellten Anforderungen aus der „Neo“, wo ich das gerade noch so geschafft habe, durch ein Routine-Echo eine Katastrophe zu verhindern. Von daher: Neugeborene mit Geräusch – das ist eine klare Indikation für ein sofortiges Echo!
Axel Enninger: Okay, und das Kindergartenkind wird so behandelt wie Sie es vorher auch beschrieben haben: kriegt den Blutdruck gemessen, kriegt ein EKG geschrieben, und wenn da nix ist, dann reicht ein Routinetermin.
Matthias Gorenflo: Genau.
Herzproblem und Antibiotika
Axel Enninger: Gut. Wir steuern so ein bisschen, zumindest zum Aufnahmezeitpunkt, auf die Infektsaison zu, und eins der wesentlichen Themen im vergangenen Winter war immer Antibiotikamangel. Nun wissen wir, dass die allermeisten Infekte virale Infekte sind und sowieso kein Antibiotikum brauchen. Aber, hat ein Kind ein Herzproblem, braucht es vielleicht manchmal doch ein Antibiotikum. Da hat sich ja einiges getan in den letzten Jahren. Stichwort „Endokarditisprophylaxe“, beziehungsweise wann denke ich dran? Wer braucht in welcher Situation doch noch ein Antibiotikum? Wollen Sie da vielleicht kurz sagen, was sich da verändert hat in den letzten Jahren?
Matthias Gorenflo: Ja. Also, es ist so, dass Dinge, die früher noch obligat für die sogenannte Endokarditisprophylaxe waren, das heißt eine Gabe von Antibiotika, oral, eine Stunde beispielsweise vor einem zahnärztlichen Eingriff, sechs Stunden danach, dass sich das jetzt deutlich in der Indikationsstellung verringert hat. Die klassischen Shuntvitien, Ventrikelseptumdefekt, AV-Septumdefekt, Ductus, das ist keine Indikationsstellung mehr für eine Endokarditisprophylaxe. Was selbstverständlich bleibt, sind zyanotische Patienten, Patienten mit implantierten Klappen oder Biomaterialien, Patienten mit Rest-Defekten, unklaren Patchmaterialien et cetera. Da bleibt selbstverständlich die Indikationsstellung für die Durchführung der Endokarditisprophylaxe noch bestehen.
Axel Enninger: Okay. Und gibt es noch diesen Endokarditispass? Früher gab es den, gibt es den noch?
Matthias Gorenflo: Ja, den gibt es sogar jetzt in einer Nouvelle. Da hat die Deutsche Gesellschaft für Kinderkardiologie, federführend Frau Heying, sie haben einen neuen Endokarditispass, sozusagen einen Ausweis erstellt, der aus meiner Sicht deutlich besser geworden ist als der Vorgänger. Den kann man sich entsprechend über die Weblinks dort besorgen. Da wird auch klarer formuliert, wo Endokarditisprophylaxe erforderlich ist und wo nicht.
Axel Enninger: Und dazu gibt’s auch eine neue Leitlinie.
Matthias Gorenflo: Ja, die…
Axel Enninger: Oder nicht mehr so ganz neu.
Matthias Gorenflo: Ja, die ist nicht mehr so ganz neu, das ist richtig. Die Nouvelle, die in Deutschland gemacht worden ist, ist Folge dessen, was sich im angloamerikanischen Raum getan hat. Das ist jetzt schon eine ganze Weile her, diese Änderung. Seither hat sich an der Indikationsstellung nichts mehr geändert.
Axel Enninger: Okay! Aber schadet ja nicht, die würden wir dann auch noch in die Gesprächsnotizen schreiben, so dass, wer es gerne nachlesen möchte, das dann im Langtext nochmal selber studieren kann. Herr Gorenflo, es gibt ein traditionelles Element in diesem Podcast, und das heißt „Dos & Don‘ts“. Dinge, die sie positiv oder als negative Nachricht loswerden wollen. Sie dürfen die Reihenfolge wählen. Mein Rat ist aber, fangen Sie mit den Don‘ts an, um positiv mit den Dos zu enden, aber fühlen Sie sich nicht bevormundet.
Pulse und Blutdruck; komplette kardiorespiratorische Untersuchung bei Erstvorstellung, keine Technikgläubigkeit
Matthias Gorenflo: Ja, also, es ist schon so, dass wir mal mit den Don‘ts anfangen, sinnvollerweise. Also, was nicht geht, ist, dass ein Mensch mehrere U-Untersuchungen, mehrere Vorstellungen hat, ohne dass zu einem Zeitpunkt x auch nicht mal Leistenpulse, gesamter Pulsstatus erhoben wurde und der Blutdruck gemessen wurde. Das ist deshalb extrem wichtig, weil wir keine 16-Jährigen mit schwerem arteriellem Hypertonus sehen würden, mit einer schweren Coarctation, wenn irgendjemand zuvor das einfach mal gemacht hätte. Die Odyssee, die diese Patienten teilweise hinter sich haben, ist bedauerlich. Noch bedauerlicher ist, dass eine spät operierte Coarctation leider mit einer hohen Wahrscheinlichkeit assoziiert ist, dass ich den Bluthochdruck nie wieder loswerde in meinem Leben, auch wenn ich sehr gut operiert oder interventionell versorgt worden bin. Das ist ein bedauerliches Ereignis, denn das kostet den Patienten 20 Jahre Leben. Und es lässt sich mit einer guten Diagnostik zumindest in der statistischen Häufigkeit deutlich vermindern. Von daher, das ist für mich das Don’t. Ja, und dann kommen wir zu den Dos. Ich glaube, wenn man als Kinderarzt einen Patienten zum ersten Mal sieht – schließt sich an das Letzte quasi nahtlos an – dann soll eine komplette kardiorespiratorische Untersuchung schon dazugehören, auch mit Blutdruckmessungen und Pulsen. Ich erinnere mich an meine Weiterbildungszeit in Berlin Ende der 80er Jahre, da habe ich allein in meiner Dienstzeit in der allgemeinen Ambulanz in dem Jahr zwei Patienten mit einer Isthmusstenose herausgefischt, die eigentlich nur wegen einer Angina tonsillaris oder einer Otitis kamen. Also, man kann da schon etwas finden, wenn man sucht. Und das andere ist dann: Technik ist gut, Technikgläubigkeit ist nicht gut. Wenn man Werte sieht auf dem Blutdruckmessgerät, wo man sagt, das kann eigentlich nicht stimmen. Ich hab einen Patienten, der ist kalkweiß, schweißig, adynam, und da wird mir noch ein normaler Blutdruck angezeigt von meinem Oszillometer, dann hat das Oszillometer nicht recht. Dann bin ich da eben mit der Technik nicht zum Ziel gelangt und muss dann anderes tun. Von daher darf man nach wie vor händisch auch mal Blutdruck messen. Das sind, glaube ich, die wesentlichen Punkte. Damit kann man ganz konkret Menschen sehr gut helfen, man kann sie vor Schlimmem bewahren, und wenn es nur davor ist, dass sie eine jahrzehntelange antihypertensive Therapie benötigen.
Axel Enninger: Okay, wunderbar, vielen Dank auch für diese praktischen, praxisrelevanten Appelle am Schluss. Vielen herzlichen Dank für das aus meiner Sicht sehr interessante Gespräch, und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danken wir herzlich fürs Zuhören. Wir freuen uns über Kommentare und Rückmeldungen. Wir freuen uns über Likes auf den verschiedenen Plattformen, aber auch über Themenvorschläge und hoffen, dass Sie bei der nächsten Folge wieder zuhören. Bleiben Sie uns gewogen, bis zum nächsten Mal!
Matthias Gorenflo: Vielen Dank.
Hilfreiche Informationen:
Leitlinie:
AWMF (2018) Leitlinie tachykarde Herzrhythmusstörungen im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter. S2k-Leitlinie, AWMF-Registernr. 023-022.
Tabelle altersabhängige Blutdruckwerte:
Wühl E (2023) Bluthochdruck bei Kindern und Jugendlichen. Infoblatt. Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL, Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention.
https://www.hochdruckliga.de/fileadmin/downloads/patienten/Basiswissen-Kinder.pdf.
Endokarditis-Ausweis:
Ausweis und Infoblatt zu bestellen bei der Deutschen Herzstiftung: https://herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/endokarditis/vorbeugen.
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