consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #51 - 18.10.2024
consilium – der Pädiatrie-Podcast
mit Dr. Axel Enninger
Vitamin D – unterschätztes Multitalent?
Axel Enninger: Heute spreche ich mit:
PROF. DR. CORINNA GRASEMANN.
DR. AXEL ENNINGER…
… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis
Axel Enninger: Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Wir haben heute in zweierlei Hinsicht eine ganz besondere Situation. Erstens, Frau Prof. Grasemann, meine Gesprächspartnerin, ist bereits zum 3. Mal zu Gast in diesem Podcast und bricht damit den aktuellen Rekord. Und die zweite Besonderheit ist, wir haben vermeintlich ein Thema, das wir schon einmal besprochen haben. Mögen Sie sich wundern, was soll jetzt der Kram? Wir wollen heute über Vitamin D sprechen, aber wir wollen den Fokus auf andere Aspekte legen als die, die wir im ersten Podcast besprochen haben. Kleiner Verweis: Der letzte Podcast war Folge Nr. 16. Alles, was wir heute über Vitamin D besprechen, gilt weiterhin. Alles, was wir in diesem Podcast besprochen haben. Das gilt auch für Dosierungen, Normwerte und solche Dinge. Herzlich willkommen, Corinna!
Corinna Grasemann: Vielen Dank!
Axel Enninger: Ich habe schon gesagt, wir wollen heute nicht über Kalzium und Knochen reden, sondern wir wollen Dinge aufgreifen, die zum Teil durch die Expertenpresse, aber zum Teil auch so ein bisschen durch die Laienpresse geistern. Und da wird Vitamin D eine ganze Reihe von Dingen zugeschrieben, Eigenschaften zugeschrieben, und wir wollen so ein bisschen gucken, was ist denn dran? Wo ist denn etwas dran? Und vielleicht auch so ein bisschen sagen, wo ist denn nichts dran? Und wir wollen Schritt für Schritt einzelne Krankheiten durchgehen. Du darfst sagen, was ist dein Lieblingsthema? Womit würdest du gerne starten, wenn es nicht die Knochen sind?
Corinna Grasemann: Ja, ja, das fällt mir natürlich schwer, heute nicht über Kalzium und Knochen zu reden, aber wir wollen über extraskelettale Effekte von Vitamin D sprechen, und tatsächlich gibt es dazu ja wahnsinnig viel Literatur, Studien, Evidenz, sodass es sich tatsächlich lohnt, da nochmal genauer hinzugucken. Wenn ich mir was aussuchen darf, dann möchte ich vielleicht mit der Psyche anfangen.
Axel Enninger: Okay, Psyche. Da wundert man sich so ein bisschen. Da geistert durch die Gegend, Vitamin D ist gut bei Depression, Vitamin D ist auch noch bei anderen psychischen Auffälligkeiten gut. Was ist denn dran?
Vitamin-D-Spiegel gering, höheres Risiko für depressive Symptome
Corinna Grasemann: Ja, da ist relativ viel dran, wie man inzwischen weiß. Wenn man dein Statement umdreht, dann ist es auf jeden Fall richtig: Kein Vitamin D ist schlecht für die Psyche. Es gibt, glaube ich, eine inzwischen überzeugende Studienlage, dass zu niedrige Vitamin-D-Spiegel das Risiko für depressive Erkrankungen erhöhen. Und wenn wir heute über extraskelettale Effekte sprechen und ich über zu niedrige Vitamin-D-Spiegel spreche, dann muss ich dazu sagen, dass wir hier nicht so genaue Definitionen von Zielwerten und Normwerten haben, wie wir das für den Kalzium–Parathormon-Stoffwechsel haben. Man geht davon aus, dass die Vitamin-D-Spiegel, die benötigt werden, um positive Effekte bei extraskelettalen Effekten zu sehen, wahrscheinlich etwas höher sein müssen als die Spiegel, die man benötigt für einen ausreichenden Kalzium-Knochenstoffwechsel. Aber hier gibt’s keine gut definierten Normwerte. Das heißt, ich werde den Begriff „Vitamin-D-Mangel“ oder „zu niedrige Vitamin-D-Spiegel“ verwenden, aber ob es jetzt unter 20 oder unter 30 ng/ml liegt, das ist so ein bisschen offen. Es geht prinzipiell um „niedrig“.
Axel Enninger: Okay, aber ich sag immer so als Faustregel: Wenn wir über 30 und nicht im toxischen Bereich liegen, liegen wir erst mal gut, oder?
Corinna Grasemann: Ja, das wäre sehr wünschenswert, wenn wir in diesem Bereich liegen. Es ist so, dass es eine Vielzahl von Erkrankungen gibt, deren Auftretenswahrscheinlichkeit steigt, wenn die Spiegel zu niedrig sind. Das sind psychische Krankheiten, das sind Infektionskrankheiten, das ist das Auftreten von Krebserkrankungen, der Verlauf von Krebserkrankungen, das betrifft gastrointestinale Erkrankungen, Zöliakie, Autoimmunerkrankungen, also eine ganz breite Palette. Die Studienlage ist in der Erwachsenenmedizin natürlich viel, viel besser und dichter als in der Pädiatrie. Aber auch in der Pädiatrie gibt’s inzwischen ganz relevante Studien. Und wenn ich jetzt zurückzirkle zur psychischen Gesundheit und zur Depression, dann haben wir da, glaube ich, ein ganz relevantes Thema. 20 % der Jugendlichen werden im Verlauf der Adoleszenz eine Depression, eine depressive Episode, erleben und hier wissen wir, dass das Risiko dafür größer ist, wenn die Vitamin-D-Spiegel zu niedrig sind. Und wir wissen tatsächlich auch, dass eine Ko-Therapie der Depression mit Vitamin D ein besseres Outcome hervorbringt. Das heißt, es ist eine der wenigen Erkrankungen, wo in randomisierten, kontrollierten Studien gezeigt werden konnte, dass die Depression besser therapierbar ist, wenn man den Vitamin-D-Mangel tatsächlich ausgleicht.
Axel Enninger: Das wird ja wahrscheinlich so ein bisschen das Leitmotiv unseres heutigen Gespräches: „Gute Spiegel schützen vor…“ So ein bisschen unser Dauerthema heute. Schwieriger wird es beim Thema: „Was bringt es denn therapeutisch?“ Das ist wahrscheinlich unser Problem, und auch da wissen wir, dass gerade Depression, Jugendliche – da verweisen wir auf den Podcast Computerspielsucht – nicht rausgehen, keine körperliche Bewegung, da gibt es eine ganze Reihe von Gründen, warum man als Jugendlicher einen Vitamin-D-Mangel entwickelt. Aber du sagst noch einmal zum Thema Depression ganz klar: „Gute Vitamin-D-Spiegel schützen vor Depression.“ Kann man das so sagen?
Corinna Grasemann: Ja, wahrscheinlich nicht in der Absolutheit, dass man keine Depression bekommt, wenn man gute Vitamin-D-Spiegel hat, aber man vermindert zumindest das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Und, du hast es gerade schon gesagt, Jugendliche sind natürlich die Gruppe, die am gefährdetsten für schlechte Vitamin-D-Spiegel sind, einfach weil sich die Lebensweise verändert. Sie gehen nicht mehr so viel raus, sie sind nicht sonnenexponiert, sie haben auf einmal eine andere Form der Ernährung und eine Vitamin-D-Prophylaxe nehmen sie wahrscheinlich auch nicht ein, wenn wir es ihnen nicht verdeutlichen können.
Axel Enninger: Okay. Jetzt hast du gesagt zur Therapie und, um den Punkt nochmal herauszuarbeiten, du sagst, ein guter Vitamin-D-Spiegel hilft den anderen Medikamenten oder den anderen Maßnahmen. Aber wir wollen jetzt nicht sagen: „Nimm Vitamin D und dann behandeln wir damit Depressionen.“
Corinna Grasemann: Nee, das wollen wir nicht sagen. Das wäre natürlich eine wahnsinnig tolle Sache. Vitamin D behandelt alleine keine Depression, ist aber als Zusatz sinnvoll, wenn ein Vitamin-D-Mangel vorliegt, und es ist in Erwachsenenstudien untersucht, dass es nicht nur bei der Depression, sondern auch bei Angststörungen tatsächlich hilfreich ist, wenn zur regulären medikamentösen und Psychotherapie eine Vitamin-D-Therapie aufgenommen wird.
Nicht nur Depression
Axel Enninger: Jetzt haben wir Depressionen, Angststörungen. Gibt es noch andere psychische Erkrankungen, für die es Daten gibt? Es schwirrt ja bei allem Möglichen herum oder wird es da dünner?
Corinna Grasemann: Ja, es gibt eine ganz krasse Studie bei bipolaren Erkrankungen, und die finde ich deshalb so krass, weil die Kollegen nicht nur untersucht haben, wie das mit den Vitamin-D-Spiegeln ist, sondern sie haben sich die Parathormonspiegel mit angeguckt. Parathormon liegt mir sehr am Herzen, und das haben wir in dem anderen Podcast auch schon herausgearbeitet. Parathormon steigt an, wenn zu wenig Kalziumversorgung da ist, wenn der Vitamin-D-Mangel möglicherweise besonders schwer ist. Und was sie in dieser Studie nachweisen konnten, ist, dass die Schwere der bipolaren Störung, das Auftreten der bipolaren Störung, früher ist, wenn die Vitamin-D-Spiegel niedriger sind, aber vor allen Dingen, wenn die Parathormonspiegel höher sind. Und das ist eine sehr interessante Studie, die wir vielleicht auch verlinken können in den Shownotes, die sehr schön zeigt, wie relevant das für die psychische Gesundheit ist, und die auch mechanistisch so ein bisschen darauf eingeht, dass der Vitamin-D-Rezeptor im zentralen Nervensystem gut vertreten ist, dass auch der Parathormon-Rezeptor da ist und dass es deshalb gut plausibel ist, dass es da Verbindungen mit der psychischen Gesundheit gibt.
Axel Enninger: Parathormon-Anstieg, nochmal, als Zeichen des Vitamin-D-Mangels. Was pathophysiologisch einfach irgendwie klasse ist, wenn man sich Regelkreisläufe anguckt… Ihr als Endokrinologen liebt ja Regelkreisläufe und ich finde es auch immer schön, wenn man Dinge so gut erklären kann. Okay. Also, jetzt haben wir Depressionen, bipolare Störungen, und da gibt es auch andere psychische Erkrankungen, wo du sagen würdest, da ist es wichtig?
Bald generelle Prophylaxe ohne Spiegelkontrollen?
Corinna Grasemann: Wahrscheinlich fallen alle psychischen Erkrankungen in die Kategorie „chronische Erkrankungen“, und bei chronischen Erkrankungen gibt es ja schon lange in der Kinder- und Jugendmedizin die Empfehlung, eine Vitamin-D-Substitution zu geben und auf ausreichende Spiegel zu achten. Tatsächlich gibt es jetzt eine neue Empfehlung, eine ganz neue Empfehlung aus Amerika, von der Endocrine Society. Das ist die übergeordnete endokrinologische Fachgesellschaft, und die haben mit einem großen Expertenpanel viele, viele randomisiert-kontrollierte Studien neu ausgewertet und haben Empfehlungen formuliert. Sie formulieren für die Pädiatrie eine fantastische Empfehlung, wie ich finde. Sie sagen nämlich, alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr sollen mit Vitamin D prophylaktisch substituiert werden. Es sind keine Spiegelkontrollen empfohlen. Sie legen sich bezüglich der Dosis nicht fest. Sie sagen, zwischen 500 und 2.000 Einheiten pro Tag ist wahrscheinlich gut, aber geben eine generelle Empfehlung raus. Diese Empfehlung dient der Vermeidung des Auftretens von Erkrankungen, die mit zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln assoziiert sind.
Axel Enninger: Das würde uns allen das Leben deutlich erleichtern. Alle kriegen einfach Vitamin D, 500 bis 2.000 Einheiten, keine Spiegelkontrollen. Was glaubst du, wie lange es braucht, bis deutsche Empfehlungen es übernehmen?
Corinna Grasemann: Ja, die deutschen Empfehlungen sind schon so ein bisschen in die Jahre gekommen und bedürfen eigentlich einer Überarbeitung. Ich habe Hoffnung, dass wir da, auch weil das so eine pragmatische und einfache Empfehlung ist, uns doch zügig damit auseinandersetzen können und auch eine Empfehlung formulieren können.
Axel Enninger: Wir können ja schon einmal so ein bisschen spoilern: Beim letzten Mal hatte ich dich gefragt, ob meine Einnahme von 2.000 Einheiten Vitamin D am Tag im Winter okay ist. Das hast du damals bejaht. Würdest du jetzt immer noch bejahen, oder?
Corinna Grasemann: Ja, wobei du nach diesem Empfehlungspaper nicht unter eine der Gruppen fällst, für die explizit eine ganzjährige Substitution empfohlen wird. Für uns Kinder- und Jugendärzte sind da, glaube ich, die Schwangeren noch von Interesse, die auch eine generelle Substitutionsempfehlung kriegen. Danach können wir noch ein paar Jahre älter werden, bis wir in die Gruppe fallen, die da auch ganzjährig substituieren sollen. Aber im Winter würde ich tatsächlich jedem raten, eine Vitamin-D-Prophylaxe einzunehmen.
Axel Enninger: Okay, wir spoilern jetzt nicht unsere Alter hier.
Corinna Grasemann: Nee. [Schmunzeln.]
Axel Enninger: Machen wir nicht. Okay. Würden wir dem müden Jugendlichen mit dieser Substitution auch helfen? Das ist eine oft genannte Frage. Man hat Eltern, die manchmal an ihrem etwas trägen, müden Teenager verzweifeln. Da, haben wir schon in einer anderen Podcastfolge gesagt, ist es kein Fehler, einmal nach der Schilddrüse zu gucken. Aber würde man denken, mit Vitamin D könnte man da Effekte erzielen?
Dem Zielwert näherkommen
Corinna Grasemann: Na ja, man würde ihm ja gerne Vitamin D geben, um sicherzustellen, dass er nicht in einen Vitamin-D-Mangel gerutscht ist oder rutscht. Und die Frage, die, glaube ich, im praktischen Leben oft Probleme macht, ist die Frage, was mache ich mit den Vitamin-D-Spiegeln? Soll ich die bestimmen, soll ich die nicht bestimmen? Und mein Vorschlag ist da: Wenn Sie es vermeiden können, bestimmen Sie keine Spiegel, sondern geben Sie einfach Vitamin D. 1.000 Einheiten Vitamin D am Tag hebt über einen Zeitraum von etwa sechs Wochen den Spiegel um 10 ng/ml an. Das heißt, da bewegen Sie sich nicht in toxische Bereiche, aber haben eine gute Chance, dass Sie in den gewünschten Bereich hineinkommen – wenn der oder die Jugendliche denn adhärent wäre mit Ihrem Vorschlag, jeden Tag Vitamin D einzunehmen – und damit kann man nichts falsch machen. Wenn Sie einen Spiegel haben, wird er wahrscheinlich zu niedrig sein, wenn Sie ihn im Winter bestimmt haben. Auch dann können Sie einfach substituieren in derselben Dosis und gucken, dass Sie keine Kontrolluntersuchung machen müssen. Kontrolluntersuchungen am besten im Sommer, dann haben Sie eine Chance, dass Sie auch einen normalen Spiegel messen.
Axel Enninger: Da jetzt mal ein kleiner Einschub. Eine der Kritiken, die ich immer wieder höre bei diesem Thema Vitamin D, ist ja: „Das sind künstlich zu hohe Normenwerte, und sie haben alle niedrige Spiegel. Also können doch die Normwerte nicht stimmen, was soll denn dieser komische Hype hier gerade?“ Da könntest du vielleicht kurz noch etwas dazu sagen.
Corinna Grasemann: Genau. Die Normwerte sind keine Normwerte, sondern Zielwerte, und der untere Zielwert ist formuliert als der Zielwert, bei dem 95 % der Bevölkerung, ohne dass die Sonne scheint, genug Kalzium aufnehmen, sodass es nicht zu einer Stoffwechsellage kommt, in der Parathormon ansteigt und Kalzium aus dem Knochen herausgelöst wird. Es wird einen großen Teil von uns geben, der auch mit etwas niedrigeren Vitamin-D-Spiegeln bezüglich des Kalziums gut zurechtkommt. Aber um Sicherheit zu gewährleisten, ist dieser Wert für uns alle so festgelegt worden. Die Volksstämme in Afrika, die quasi unter der freien Sonne die ganze Zeit unterwegs sind, haben Spiegel, die so bei 50 ng/ml liegen, also deutlich höher als dieser untere Zielwert, der da formuliert worden ist. Und deswegen messen wir hier Werte, die als zu niedrig angegeben worden sind, obwohl sie in der gesamten Bevölkerung zu niedrig sind und deshalb diesen typischen Kriterien eines Normwertes nicht entsprechen.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Axel Enninger: Wechseln wir das Thema und kommen wir kurz auf mein Spielfeld: chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Da kann ich jetzt, glaube ich, auch ein bisschen dazu sagen. Da gibt’s ganz klar und sehr gute Studien dazu, dass ausreichende Vitamin-D-Spiegel die Frequenz der Verschlechterungen, der Schübe, bei einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung reduzieren. Und das ist auch der Grund, warum wir Kinder-Gastroenterologen bei unseren regelmäßigen Kontrollen tatsächlich auch immer wieder Vitamin-D-Spiegel messen. Das tun wir. Das steht auch so in unseren Empfehlungen. Findest du, das müssten wir gar nicht machen, sondern auch ganz pragmatisch allen Vitamin D geben?
Corinna Grasemann: Also ich finde, dass ihr ganz pragmatisch allen Vitamin D geben sollt, aber ihr müsst natürlich tatsächlich sicherstellen, dass sie auch ausreichende Spiegel haben. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sind Vitamin-D-Spiegel ja auch sekundär erniedrigt, weil die Resorption nicht gut ist. Das heißt also, da kommt man mit 1.000 Einheiten am Tag möglicherweise nicht viel weiter. Die extraskelettalen Effekte von Vitamin D, die sich im immunologischen Bereich abspielen, werden wahrscheinlich nicht über Parathormon kontrolliert. Man weiß, dass das Enzym, die 1-α-Hydroxylase, die man braucht, um Vitamin D zu aktivieren, die kommt in vielen Zelltypen vor, nicht nur in der Niere, wie wir früher gedacht haben. Wenn sie aber für diese extraskelettalen, immunologischen Effekte zuständig ist, dann tut sie das, ohne dass sie abhängig von Parathormon an- und abgeschaltet wird, und man braucht einen ausreichenden 25-Hydoxy-Vitamin-D-Spiegel, um überhaupt eine gute Aktivität dieses Enzyms zu gewährleisten. Deswegen halte ich das bei immunologischen Fragestellungen für sehr wichtig, dass man tatsächlich darauf achtet, dass die Spiegel auch im guten, normalen Bereich liegen.
Axel Enninger: Okay, und wir haben natürlich bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankung die üblichen Themen: Compliance bei Teenies ist ein ganz wichtiges Thema. Resorption, hast du vorhin schon gesagt. Therapie mit Azathioprin und damit der besonders wichtige Sonnenschutz. Also selbst, wenn man sie dazu kriegt rauszugehen, sagen wir immer: „Aber guter Sonnenschutz! Wir wollen nicht, dass du mit Azathioprin einen Sonnenbrand kriegst!“ Wir wollen, dass kein Kind einen Sonnenbrand kriegt, aber die Aza schon mal gar nicht. Aber umso wichtiger: Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung brauchen Vitamin D, und du hast das, finde ich, schön erklärt. Wollen wir bei dem Thema Autoimmunerkrankungen bleiben? Diabetes Typ 1, Zöliakie?
Corinna Grasemann: Ja, auch da ist die Datenlage ziemlich eindeutig, dass niedrige Spiegel sowohl das Auftreten der Erkrankung als auch den Verlauf der Erkrankung negativ beeinflussen, sodass man auf ausreichende Vitamin-D-Spiegel achten sollte, und wenn die Menschen erkrankt sind, dann im Verlauf auch ausreichende Spiegel sicherstellen sollte. Da geht’s halt nicht um die Knochengesundheit, die ja bei diesen Erkrankungen auch immer mit im Fokus steht und immer mit betroffen ist, sondern es geht tatsächlich um diese immunologischen Effekte, die in die verschiedenen Subpopulationen der T-Zellen eingreift und im Zell–Zell-Kontakt von Bedeutung sind.
Axel Enninger: Okay, das heißt, die Diabetes-Typ-1-Patienten und die Zöliakie-Patienten behandeln wir jetzt nicht schlechter als – wie wir vorhin schon gesagt haben – eigentlich alle anderen. Aber wir gucken noch mal besonders danach und haben sie besonders im Fokus. Und wenn wir da Vitamin D empfehlen, ist es nicht so, weil wir so gerne Rezepte ausschreiben. Abgesehen davon ist Vitamin D, wenn man es in der Apotheke selber kauft, ja ausgesprochen billig. Es kostet tatsächlich nicht viel.
Corinna Grasemann: Genau und ist zur Not auch im Drogeriemarkt verfügbar. Wovon ich gerne abrate, ist, sich übers Internet Vitamin-D-Präparate unklarer Herkunft zu bestellen, weil man da immer nicht so genau weiß, ob das mit der Dosierung passend ist und Überdosierungen gerade bei kleinen Kindern doch schnell zu erheblichen Problemen führen.
Axel Enninger: Ja, aber auch die „normalen Standardpräparate“, sag ich mal, sind jetzt wirklich keine besonders teuren Präparate, aber vielleicht könnten wir kurz etwas dazu sagen. In der naturheilkundlichen, komplementärmedizinischen Ecke wird immer gesagt, Vitamin D alleine hilft nicht. Wir brauchen Vitamin D und K1. Die Dinger kosten allemal das Zehnfache.
In der Pädiatrie reicht Vitamin D, nicht mit Vitamin K1 kombinieren!
Corinna Grasemann: Ja, das brauchen wir nicht. In der Theorie ist denkbar, dass Vitamin K und Vitamin D synergistisch wirken auf zellulärer Ebene, und es gibt, ich glaube, eine Studie an erwachsenen Frauen, die eine Verbesserung der Knochendichte zeigt, wenn man mit Vitamin K und Vitamin D gemeinsam behandelt, die etwas besser ist, als wenn man nur mit Vitamin D behandelt. Aber in der Pädiatrie, in diesem Altersspektrum, gibt es überhaupt keine Vorstellung davon, in welcher Dosis man Vitamin K zugeben sollte, ob das überhaupt irgendeinen positiven Effekt hat, und wir sehen keine Probleme, wenn wir nur mit Vitamin D behandeln. Deswegen würde ich davon abraten, insbesondere von teuren Kombinationspräparaten.
Axel Enninger: Genau, also da sparen wir ein bisschen. Da kann man das Monopräparat gut kaufen. Okay, das war der kleine Exkurs zu den Präparaten. Diabetes, Zöliakie hatten wir. Krebs, onkologische Erkrankungen. Auch da ist häufig die Frage von Eltern, was kann ich denn zusätzlich noch tun? Wie ist da die Datenlage zu Vitamin D und Tumor-Erkrankungen?
Onkologische Erkrankungen: ausreichend Vitamin sicherstellen
Corinna Grasemann: Also, die Antwort auf die Frage mit Bezug zu Vitamin D ist ziemlich eindeutig: „Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind ausreichende, vernünftige Vitamin-D-Spiegel hat!“ Es gibt für Krebserkrankungen eine Vielzahl an Studien im Erwachsenenalter, aber auch im pädiatrischen Bereich gibt es Studien, die zeigen, dass das Risiko zu erkranken höher ist bei schlechten Spiegeln, aber vor allen Dingen Studien, die zeigen, dass die Verläufe schlechter sind bei Vitamin-D-Mangel. Das sind einzelne Erkrankungen, für die das aber doch relativ deutlich gezeigt werden konnte, also zum Beispiel bei Menschen nach Stammzelltransplantation, zum Beispiel bei Menschen, die an Brustkrebs erkrankt waren, und wir haben uns das zum Anlass genommen und haben in einer Nachsorge-Kohorte einmal nachgesehen und haben geguckt, ob Kinder, die den Krebs überstanden hatten, wenn sie höhere Parathormon-Spiegel hatten oder niedrigere Vitamin-D-Spiegel, ob dann das Risiko, ein Rezidiv zu bekommen, höher war, als wenn das nicht so war. Und tatsächlich sehen wir da einen deutlichen Unterschied für bestimmte Erkrankungsgruppen. Kinder mit lymphatischen Erkrankungen, zum Beispiel, mit lymphatischen Leukämien, haben ein erhöhtes Rezidivrisiko, wenn im Verlauf nach der Krebserkrankung die Vitamin-D-Spiegel niedrig, die Parathormon-Spiegel hoch sind.
Axel Enninger: Obwohl du vorhin gesagt hattest, dass die erhöhten Parathormon-Spiegel bei der Immunologie gar nicht so eine entscheidende Rolle spielen?
Viele Kinder überleben den Krebs: Nachsorge inklusive Vitamin D
Corinna Grasemann: Ja, das habe ich gesagt, und es ist nicht so richtig klar, ob das ein immunologischer Effekt ist, oder ob das vielleicht ein Effekt ist, der tatsächlich übers Parathormon vermittelt wird, das eine Aktivierung von Zellen bewirkt über den Parathormon-Rezeptor. Also, es ist ja denkbar, dass das entweder ein Effekt ist, der durch zu niedrige Vitamin-D-Spiegel vermittelt wird, oder dass Parathormon selbst Effekte hat, denn auch der Parathormon-Rezeptor ist quasi ubiquitär exprimiert und könnte in sehr vielen verschiedenen Zelltypen dafür sorgen, dass es zu Problemen kommt. Kinder mit Krebs: Wir haben über 2.000 Neuerkrankungen im Jahr in Deutschland, und wir haben ein sehr gutes Überleben, zum Glück, von Krebserkrankungen im Kindesalter. Das heißt, jedes Jahr wird eine Vielzahl Überlebender aus der onkologischen Betreuung, Akutbetreuung, entlassen, geht in Nachsorge, wird regelmäßig nachgesorgt, aber Vitamin-D-Spiegel stehen da, glaube ich, bisher noch nicht so im Fokus.
Axel Enninger: Vitamin D bei Tumorpatienten. Es könnte auch der Anlass sein zu sagen, Tumorpatienten haben überdurchschnittlich häufig Mikronährstoffmängel, sodass das es auch Anlass sein könnte zu sagen: „Kümmert euch nicht nur um den Vitamin-D-Spiegel, sondern generell.“ Wie ist die Ernährung, wie ist die Versorgung mit allen möglichen anderen Mikronährstoffen, oder? Das könnte man gut zum Anlass nehmen, finde ich, da auch noch einmal hinzugucken.
Corinna Grasemann: Ja, das sind Aspekte, die in der pädiatrischen Onkologie, glaube ich, auch gut mitgedacht werden. Die Kinder sind ja, wenn sie in der akuten Therapie sind, schwer krank, haben weniger Bewegung, haben weniger Aufenthalt im Freien, haben schlechtere Ernährung und werden, glaube ich, doch ziemlich ganzheitlich versorgt, auch mit Sporttherapien und Musiktherapien. Und klar, ist es nicht ausreichend, sich da nur den Vitamin-D-Spiegel anzugucken, sondern da geht’s auch um die übrige Ernährung. Mikronährstoffe und das übrige hormonelle System wollen wir natürlich auch nicht aus dem Blick verlieren.
Vitamin D und Infekte
Axel Enninger: Okay. Zur Zeit von COVID wurde auch ganz viel über Vitamin D gesprochen. Da gab’s – das ist irgendwie ganz tief hinten in meinem Hirn – glaube ich, irgendwie eine Studie, die gezeigt hat: niedrige Vitamin-D-Spiegel, erhöhtes Risiko für Beatmungspflichtigkeit, irgend so etwas?
Corinna Grasemann: Ja, da hat es tatsächlichen einen Durchbruch gegeben, weil es mit dieser schlimmen Welle der COVID-Erkrankungen solide Daten gab, die zeigen, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel mit einem erhöhten Versterben an der COVID-Infektion, längerer Intensivdauer und längerer Beatmungsdauer assoziiert waren. In der Pädiatrie ist es ja so, dass respiratorische Infekte so ein Thema gewesen ist, das lange durch die Pädiatrie gegeistert ist, und wo man sich immer gefragt hat: Ist es sinnvoll, ist es nicht sinnvoll, die Kinder zu substituieren? Und wahrscheinlich kann man auch hier sagen, dass es hilfreich ist, wenn die Kinder ausreichende Vitamin-D-Spiegel haben, also mindestens in den Wintermonaten einfach eine Substitution bekommen.
Axel Enninger: Aber da nochmal ganz klar das Ausrufezeichen. Das schützt nicht vor den üblichen Kindergarten-Infekten!
Corinna Grasemann: Nee.
Axel Enninger: Frisch in der Kita, da ist und bleibt es normal, dass man häufig und einmal im Monat einen Infekt hat, ohne dass es besonders schlimm ist. Das ist, glaube ich, allen Kinder- und Jugendärzten auch klar. Trotzdem dein Credo auch hier, ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel ist gerade in dieser Situation nicht falsch.
Corinna Grasemann: Ja, genau!
Substitution schon in der Schwangerschaft
Axel Enninger: Okay. Dann haben wir jetzt die häufigen Themen, Infektionen auch nochmal. Gerade wird ja zunehmend Wert drauf gelegt: Was können wir denn schon in der Schwangerschaft für die Kinder tun? Stichwort „Pertussis-Impfung“, Stichwort „RSV-Prophylaxe während der Schwangerschaft“. Wie ist es mit Vitamin D? Kann man da durch gute Spiegel in der Schwangerschaft den Kindern einen guten Start ins Leben geben?
Corinna Grasemann: Ja, da kann man den Kindern einen guten Start ins Leben geben und den Müttern weiterhelfen. Also, ich glaube, auch hier muss man unterscheiden zwischen einem Vitamin-D-Mangel in der Schwangerschaft mit nachteiligen Folgen. Darüber haben wir auch schon einmal kurz gesprochen: Wenn die Mutter in eine schwere Vitamin-D-Mangelsituation und Kalzium-Mangelsituation kommt, dann sehen wir zum Teil Kinder mit einer angeborenen Rachitis, mit einem angeborenen stimulierten Parathormon-System, die das auch relativ schnell wieder korrigieren. Aber manchmal kommt es da zu Frakturen, direkt postpartal, die auf dieser schlechten Mineralisation beruhen. Kinder mineralisieren in utero im dritten Trimenon ihr Skelettsystem, und wenn da nicht genug Kalzium verfügbar ist, dann kommt es schon mal vor, dass man eine angeborene Rachitis hat.
Axel Enninger: Wie oft seht ihr das? Ich kann mich, ehrlich gesagt, bei uns nicht so richtig erinnern, kann mich zumindest an kein Kind erinnern.
Corinna Grasemann: Ja, das ist interessant, weil wir das, glaube ich, sehr oft verpassen. Also manchmal sieht man das in den Perinatalzentren auf den Röntgenbildern, dass da tatsächlich so schlecht mineralisierte, ausgefranste Knochen zu sehen sind, oder man hat eine Fraktur bei so einem Baby und macht dann eine Röntgenaufnahme, und wenn man dann Diagnostik macht, dann sieht man es. Die typische Laborkonstellation ist die massiv erhöhte alkalische Phosphatase und das Parathormon, das zu hoch ist. Wir verpassen das, weil sich das ganz schnell korrigiert. Sobald die Kinder dann Kalzium und Vitamin D kriegen, mineralisieren sie ihr Skelettsystem, und dann ist es weg. Mit zwei, drei Monaten kann man es überhaupt nicht mehr erkennen. Da ist es auch immer ausgeheilt.
Axel Enninger: Hm.
Corinna Grasemann: Aber die Empfehlung zur Vitamin-D-Substitution der Schwangeren, die jetzt auch noch mal erneuert ist über diese Endocrine Society-Empfehlung, da geht’s um andere Sachen. Da geht es um die Vermeidung von Frühgeburtlichkeit, die assoziiert ist mit zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln, und da geht’s auch um mütterliche Aspekte, die weniger Mortalität haben in der Schwangerschaft, wenn die Vitamin-D-Spiegel besser sind.
Axel Enninger: Und da ist die Empfehlung in der Schwangerschaft wie hoch?
Wie oft und wie viel? Ganz pragmatisch
Corinna Grasemann: Ja, auch da haben sie sich nicht festgelegt, sondern auch da wird eine tägliche Substitution empfohlen. Das ist interessant. Das ist für alle Altersgruppen so, dass eine tägliche Substitution bevorzugt wird, über die in Deutschland übliche Substitution alle zwei Wochen 20.000 Einheiten, die es im Erwachsenenalter gibt, und die Dosis liegt zwischen 1.000 und 2.000 Einheiten. Man geht davon aus, dass bis 4.000 Einheiten bei Erwachsenen gefahrlos substituiert werden kann, aber ich persönlich glaube, dass man das nicht braucht.
Axel Enninger: Lass uns das doch kurz aufgreifen mit diesen 20.000 Einheiten. Das ist ja doch… Man hört es immer wieder nochmal. Ich habe auch Mühe damit, dieser Verordnung einmal in der Woche zu folgen. Entweder man vergisst es, oder aber die Gefahr ist zu hoch, dass die Leute es nicht richtig verstehen, und dann nehmen sie auf einmal 20.000 am Tag, und das wollen wir ja nun gar nicht. Das heißt, ich höre so aus deinen Äußerungen heraus, dass du dieses Schema eigentlich auch nicht magst?
Corinna Grasemann: Ja, ich fand, als es aufkam, den Gedanken ganz charmant, dass man Jugendlichen ersparen könnte, jeden Tag etwas zu nehmen und sie stattdessen nur alle zwei Wochen oder einmal in der Woche etwas einnehmen. Aber es ist so, dass die Adhärenz überhaupt nicht besser ist und das Problem viel größer ist, wenn die Einmal-in-der-Woche-Gabe vergessen wird, als wenn von sieben Gaben eine vergessen wird, sodass ich nicht glaube, dass das viele Vorteile hat. Und die Nachteile sind ganz gravierend. Wenn es nämlich zu einer Fehlbehandlung kommt, wenn aus Versehen 20.000 Einheiten jeden Tag gegeben wird, dann kommt – je kleiner das Kind, desto schneller – eine Situation, in der sich eine Hyperkalzämie entwickelt, in der es schnell zu einer Nephrokalzinose kommt und wir ordentlichen Schaden anrichten mit einer Überdosierung, die wir dann gar nicht rezeptiert haben, aber die die Kinder oder Jugendlichen versehentlich einnehmen. Ich bin eigentlich für tägliche, kleinere Gaben.
Axel Enninger: Okay. Das Thema der Überdosierung würde ich auch gerne noch kurz aus meiner Sprechstunde schildern. Was auch nicht unwichtig ist, dass man fragt, was Eltern denn zusätzlich ihren Kindern so geben. Du hast vorhin schon gesagt, im Internet, vom Heilpraktiker, was sonst wie für Präparate verordnet werden. Da ist es zumindest wichtig nachzufragen und dann auch mal draufzugucken, was drin ist. Da wundert man sich manchmal doch. Das finde ich gerade bei Patienten mit chronischen Erkrankungen wichtig. Da machen ja viele, sag ich mal, komplementärmedizinische Dinge, aber eine Vitamin-D-Intoxikation wollen wir nicht.
Corinna Grasemann: Ja, und das geht leichter, als man denkt. Es gibt diese Brausetabletten, da ist Vitamin D und Kalzium drin. Das ist dann eine ganz schlechte Kombination. Dann hat man vielleicht ein Kind, das diese Brausetabletten gerne mag und davon drei am Tag trinkt. Dann ist man ganz schnell in Bereichen, in denen man eine Intoxikation bekommt, und das dauert ein bisschen, das wieder rauszubekommen. Aber vor allen Dingen ist die Schädigung der Niere, die da relativ schnell eintritt, oft nicht mehr reversibel. Es führt selten dazu, dass es tatsächlich zu einer Einschränkung der Nierenfunktion kommt, aber Eltern sind schon durchaus beunruhigt, wenn man ihnen sagt: ‚Ihr Kind hat jetzt hier einen Schatten auf der Niere, eine Nephrokalzinose.‘ Es wäre schon günstiger, wenn wir das vermeiden könnten.
Axel Enninger: Du hast vorhin nochmal diese Empfehlungen zitiert und gesagt, da steht keine Dosisempfehlung explizit drin. Trotzdem so ganz pragmatisch: Wenn ich mir vorstelle, ich habe da einen, sag ich jetzt mal hellhäutigen, jeden zweiten Tag tennisspielenden Jugendlichen, und ich habe eine eher dunkelhäutige junge Frau, mit eher dunkler Haut, vor mir. Wie machst du das pragmatisch?
Corinna Grasemann: Also, ich mach das pragmatisch so, dass, wenn ich im Sommer Patienten sehe, und die kommen mit gut gebräunter Haut in die Sprechstunde, dann gehe ich davon aus, dass sie eine ausreichende endogene Synthese von Vitamin D haben, und denen empfehle ich eine Substitution über die Wintermonate.
Axel Enninger: Habe ich übrigens von dir gelernt. Das gucke ich jetzt immer. Ich gucke immer, ob die Arme brauner sind als die Haut, wenn man den Ärmel hochklappt, und ich sage immer: ‚Frau Prof. Grasemann sagt, du hast damit genug Vitamin D.‘
Corinna Grasemann: Genau. Bis Oktober funktioniert das. Dann funktioniert es hier nicht mehr. Und die Empfehlung, die keine Dosis-Empfehlung geben will, die gibt keine Dosis-Empfehlung, weil es eine Auswertung einer Vielzahl von Studien war, die mit unterschiedlichen Vitamin-D-Dosen gearbeitet haben, sodass dieses Expertengremium sich da nicht festlegt auf eine bestimmte Dosis, sondern eine Spanne angibt und sagt, von hier bis hier sind die Behandlungen gewesen. Sie sagen auch, dass es denkbar oder möglich ist, dass für extraskelettale Wirkungen etwas höhere Spiegel und damit auch eine etwas höhere Substitution notwendig wäre, als wir das bisher für die kalziumrelevanten Fragestellungen machen. Darüber gibt es aber bisher relativ wenig Klarheit und deswegen möchte ich hier keine Empfehlung zu größeren Substitutionsdosen aussprechen.
Axel Enninger: Aber wir beide sind uns einig: dunkle Haut, Kopftuch, kaum draußen: Die kriegen eher eine Empfehlung / auch während des Sommers, als diejenigen, die regelmäßig draußen sind, sportlich aktiv sind.
Corinna Grasemann: Das ist ja eine deutliche Risikogruppe, die du da beschreibst.
Axel Enninger: Genau. Du musst dich auf keine Dosis jetzt festlegen.
Corinna Grasemann: Ja, ich habe da keine Sorgen, mich auf eine Dosis festzulegen, aber das ist eine schwere Risikokonstellation: Kopftuch, verhüllt, wenig draußen. Das sind Menschen, die können gar kein Vitamin D in ausreichender Menge machen, und die werden in einen sehr relevanten Vitamin-D-Mangel abrutschen.
Was „Muckis“ machen soll
Axel Enninger: Vielleicht unser letztes Thema, das Glamour-Magazin, die Instagram-Welt der Schönen, Erfolgreichen und Reichen. Da gibt es ja alle möglichen Cocktails, die empfohlen werden. Der gesunde Mensch, der draußen sportlich aktiv ist, keine Vorerkrankungen hat, nicht schwanger ist, braucht im Sommer nix, oder?
Corinna Grasemann: Ja.
Axel Enninger: Okay, gut. Und etwas zu geben ist in bestimmter Dosis aber andererseits nicht gefährlich.
Corinna Grasemann: Genau so hätte ich das jetzt zu Ende gebracht, diesen Satz.
Axel Enninger: Sehr gut, okay. Dann sind wir uns da einig, und was in dieser bunten Welt auch gerne mal so ist, das sind die Jugendlichen mit ihren „Muckis“, also Kraftsportler, Jungs, die viele Muskeln haben wollen, Mädchen auch, aber Jungs mehr. Hat da Vitamin D eine Rolle?
Corinna Grasemann: Ich glaube, das spielt selten eine Rolle. Da geht es oft um Muskelaufbau, und als Endokrinologin sehe ich da dolle Sachen. Jugendliche, die so etwas wie eine Steroidakne entwickeln, obwohl sie angeblich nur Proteinpulver zu sich nehmen, oder…
Axel Enninger: Und wo haben sie das Zeug her?
Corinna Grasemann: Ich glaube, das gibt’s im Fitnessstudio. Ich kenne mich nicht so genau aus, wo sie es herhaben, aber es ist offensichtlich relativ gut verfügbar.
Axel Enninger: Also, da gibt es Präparate, die tatsächlich auch Steroide haben, Testosteron haben, oder was?
Corinna Grasemann: Ja, ich glaube nicht, dass da Testosteron drin ist. Das sind wahrscheinlich so niedrigpotente Androgene, die mit drin sind in manchen dieser Präparate. Also, da gibt es ja wirklich eine Vielzahl an Präparaten. Es gibt übrigens ganze Geschäfte, habe ich neulich in einem Einkaufszentrum gesehen, die verkaufen nur solche Container mit Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler im Fitnessstudio.
Axel Enninger: Und du als Kinder-Endokrinologin, kannst du vorbeigehen, ohne zu schimpfen?
Corinna Grasemann: Ja, vorbeigehen kann ich da ganz gut, wenn ich da nicht reingehe. Ich glaube, das wären auch keine sinnhaften und zielführenden Diskussionen, die wir da hätten. Tatsächlich ist es natürlich so, dass wir den Jugendlichen davon abraten, Zusatzstoffe einzunehmen, aber es ist quasi unmöglich, sie davon zu überzeugen, dass sie kein Kreatinpulver nehmen sollen. Wenn man realistisch ist, machen es viele von denen.
Axel Enninger: Und da können wir auch festhalten, Vitamin D hat eine ganze Reihe von Funktionen. Für den Muskelaufbau spielt es wahrscheinlich keine Rolle, oder?
Corinna Grasemann: Ein Vitamin-D-Mangel macht Muskel hypoton, also so herum wäre es wahrscheinlich ein Problem, und eine Vitamin-D-Intoxikation wird so schnell klinisch auffällig, dass das in diesen Präparaten offensichtlich nicht drin ist. Sonst würden wir da, glaube ich, mehr Probleme bei den Jugendlichen sehen, und das tun wir gar nicht.
Pragmatische Substitution für alle, keine Laborwerte, nur bei Risikogruppen im Zweifel Kontrolle, keine Überdosierung, aber für guten Schutz durch Vitamin D sorgen
Axel Enninger: Corinna, du warst schon zweimal hier, bist jetzt zum dritten Mal hier. Insofern kennst du die Abschlussfrage. Die Abschlussfrage heißt „Dos & Don‘ts“. Es ist deine Entscheidung, ob du mit den Don‘ts oder den Dos anfängst. Was sind Dinge, die du unbedingt positiv oder negativ zum Thema Vitamin D loswerden möchtest?
Corinna Grasemann: Also, nachdem wir nach Jahren des Researches und vielen, vielen, vielen Publikationen jetzt doch ziemlich eindeutig sagen müssen, dass ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel assoziiert ist mit einer Vielzahl von unerwünschten und nachteiligen Effekten, würde ich meine Dos gerne mit einer pragmatischen Empfehlung zur Vitamin-D-Substitution anfangen. Dann würde ich gerne darauf hinweisen, dass Risikokinder, Risikogruppen, chronisch kranke Kinder, Kinder mit den Erkrankungen, über die wir heute gesprochen haben, Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen, psychische Erkrankungen, dass diese Kinder unterstützt werden sollten darin, einen gesunden Vitamin-D-Spiegel zu haben, und auch unterstützt werden müssen, dass diese Substitution tatsächlich eingenommen wird. Also es ist nicht egal, ob jemand in den Wintermonaten Vitamin D einnimmt oder nicht. Und letztlich würde ich bei diesen Kindern auch tatsächlich dazu raten es zu kontrollieren, wenn da Zweifel bestehen, ob sie auch ausreichend Vitamin D bekommen, um zu vermeiden, dass sie eine Verschlechterung ihrer Erkrankung erleben, nur weil sie ihre Vitamin-D-Substitution nicht nehmen. Bei den Don‘ts würde ich wieder formulieren, dass ich eine isolierte Laborbestimmung von Vitamin D für nicht sinnvoll halte. Das bringt typischerweise mehr Fragen als Antworten mit sich. Vermeiden Sie Überdosierungen von Vitamin D! Gerade bei kleinen Kindern, wenn sie Vitamin D plus Kalzium bekommen, ist das Risiko hoch, dass sich eine Hyperkalzämie entwickelt, eine Nephrokalzinose entwickelt, und das ist schwierig. Und ein drittes Don‘t wäre: Ich glaube, wir müssen den Mittelweg finden, und es erscheint mir nicht sinnvoll, absolute Aussagen zu treffen: „Es muss so sein oder es muss so sein.“ Ich glaube, die Studienlage ist inzwischen eindeutig so, dass gute Vitamin-D-Spiegel wünschenswert sind, und die sind für uns alle erreichbar, und das ist eine leichte und niedrigschwellige Aufgabe an uns, dafür zu sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen da möglichst gut geschützt sind.
Axel Enninger: Okay, wunderbar, das klingt auch nach einem sehr, sehr guten Schlusswort. Vielen herzlichen Dank für dieses – wie immer, darf ich jetzt sagen – interessante Gespräch. Ich freue mich immer, wie klar du dich dann doch positionierst. Und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danke ich herzlich fürs Zuhören. Wir freuen uns über Kommentare, wir freuen uns über Rückmeldungen, wir freuen uns über die berühmten Likes auf den üblichen Plattformen, aber auch über Vorschläge zu weiteren Themen oder weiteren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Vielen Herzlichen Dank und bleiben Sie uns gewogen!
Hilfreiche Informationen:
Demay MB, Pittas AG, Bikle DD et al. (2024) Vitamin D for the prevention of disease: an Endocrine Society clinical practice guideline. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 109(8) 1907–1947.
Grasemann C, Höppner J, Högler W et al. (2024) High parathyroid hormone rather than low vitamin D is associated with reduced event-free survival in childhood cancer. Cancer Epidemiology, Biomarkers & Prevention. https://doi.org/10.1158/1055-9965.EPI-24-0477.
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