consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #6 - 11.02.2022
consilium – der Pädiatrie-Podcast
mit Dr. Axel Enninger
Zöliakie – „Das Chamäleon der Medizin“
DR. AXEL ENNINGER…
… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.
Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gast heute ist Frau Dr. Stephanie Baas. Sie ist Kinder- und Jugendärztin und sie hat eine ganz besondere Position inne, nämlich sie ist die medizinische Beraterin der Deutschen Zöliakie Gesellschaft. Und Zöliakie – darüber sprechen wir heute auch. Herzlich willkommen!
Stephanie Baas: Schön, dass ich da sein kann. Vielen Dank! Ja.
Axel Enninger: Ja, Zöliakie ist ja in aller Munde und deswegen fanden wir, dass es unbedingt angemessen ist, dass wir uns darüber mal unterhalten. Aber ich würde Sie zuallererst gerne fragen: Was machen Sie bei der DZG? Wie ist das? Sind Sie da angestellt? Sind Sie freiberuflich? Kann man Sie immer anrufen? Wie geht das?
Stephanie Baas: Also ich bin nicht angestellt, sondern tatsächlich freiberuflich für die DZG tätig. Das bin ich jetzt schon seit 18 Jahren, also schon eine ganze Weile. Wie gesagt, eigentlich bin ich Kinderärztin, aber natürlich bezieht sich meine Klientel auf das gesamte Altersspektrum, sodass ich da ab dem 18. Lebensjahr ein bisschen dazulernen musste in den letzten 18 Jahren. Genau. Ich berate hauptsächlich Patienten oder zumindest Personen allgemein, die Fragen zur Zöliakie haben. Das sind natürlich in vielen Fällen einfach Betroffene, die die Diagnose bei sich vermuten oder in größten Teilen eben auch schon gestellt bekommen haben. Für Kinder rufen häufig die Mütter oder auch die Väter an oder eben auch die Betroffenen für sich selber, manchmal auch Großeltern, manchmal auch Ernährungsfachkräfte oder Ärzte. Also das Spektrum ist relativ breit. Ich freue mich auch, wenn Kollegen mich anrufen, weil es mir zeigt, dass sie einfach Interesse haben und offen sind, sich Informationen einzuholen. Von daher gerne alle Pädiater aufgerufen, sich auch gerne mit mir in Verbindung zu setzen.
Axel Enninger: Und da gibt es bestimmte Zeiten. Gibt es da Telefonsprechstunden oder muss man einen Termin vereinbaren? Wie klappt das?
Stephanie Baas: Termine vergebe ich tatsächlich nicht. Ich habe zwei Sprechstunden, eine am Dienstagabend. Das haben wir irgendwann mal eingeführt, weil wir gemerkt haben, mittwochmorgens sind eben doch viele berufstätig und können dann nicht so. Aber am Abend, das wird auch wirklich viel angenommen, dann ist von 20:30 bis 22:00 h noch mal Sprechstunde und die ist wirklich immer „gut besucht“ in Anführungszeichen, dass da wirklich viel angerufen wird, weil die Leute einfach auch Zeit haben.
Axel Enninger: Und E-Mails oder so?
Stephanie Baas: Genau das ist der andere Schwerpunkt. E-Mails können natürlich jederzeit an mich gerichtet werden, natürlich auch postalisch oder per Fax an die Geschäftsstelle. Das hat aber tatsächlich in den letzten Jahren absolut abgenommen und ich weiß gar nicht, wann ich den letzten Brief bekommen habe. Aber E-Mail natürlich jeden Tag mehrere.
Axel Enninger: Okay, sonstige Online-Formate, Twitter, irgendwas… spielt das schon eine Rolle oder noch nicht?
Stephanie Baas: Es gibt da einen großen Zöliakie-Austausch auf Facebook, aber der ist nicht von der DZG. Damit haben wir eigentlich nichts zu tun. Häufig wird aber von dort an mich verwiesen, weil ich natürlich jetzt auch einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht habe in der Szene und von daher erreichen mich von dort aus viele Anfragen. Ich selbst bin da nicht unterwegs und die DZG, wir haben natürlich einen Facebook-Account und posten da auch Neuigkeiten und so weiter, aber es ist nicht so, dass wir da Patienten beraten.
Axel Enninger: Okay, also kann man schon mal festhalten: keine Beratung über Facebook oder Twitter, sondern wenn, dann telefonisch oder per E-Mail. Wollen Sie ein bisschen Werbung machen und Ihre E-Mail-Adresse hinterlassen?
Stephanie Baas: Am besten ist eigentlich, weil mein Name einfach schlecht zu buchstabieren und zu verstehen ist, einfach über unsere Kontaktseite. Da ist auch meine E-Mail-Adresse und da kann man mich auch erreichen. Genau.
Axel Enninger: Okay, also das ist www.dzg-online.de. Wir schreiben es auch in die Shownotes für diejenigen, die das hinterher noch mal nachlesen wollen.
Stephanie Baas: Genau. Wunderbar.
Axel Enninger: Ja, sehr gut. Wir hatten ja schon gesagt, Zöliakie ist in aller Munde und wir reden vielleicht später noch darüber, ob gerechtfertigter- oder ungerechtfertigterweise. Denn mein persönlicher Eindruck ist zumindest, dass mehr Menschen über Zöliakie sprechen, als dass sie sie wirklich haben. Aber jetzt ganz frisch, sozusagen kurz bevor wir diese Sendung hier aufnehmen, ist tatsächlich die neue Leitlinie erschienen, wie man denn eine Zöliakie diagnostiziert und was man in den weiteren Schritten macht. Wie kommen wir zur Diagnose oder starten wir noch mal weiter vorne? Wann denke ich an eine Zöliakie und wann denke ich sinnvollerweise an eine Zöliakie?
Schlicht und einfach lösen vom klassischen Bild
Stephanie Baas: Also, wenn man jetzt mit manchen Experten spricht. sollte man eigentlich immer an eine Zöliakie denken. Zumindest lohnt es sich bei allen unklaren Symptomen, wo man einfach nicht zuordnen kann, was die tatsächliche Ursache ist. Also allerbeliebtestes Beispiel ist natürlich der unklare Eisenmangel. Da sollte man sicher immer an eine Zöliakie denken und immer relativ großzügig auch eine entsprechende Diagnostik in petto haben. Sonst eben auch bei allen möglichen Dingen. Wir müssen vor allem uns lösen von diesem klassischen Bild der Zöliakie. Dieses Kind, das zur Tür reinkommt, das stark abgenommen hat, das hängende Hautfalten hat, das 10-mal am Tag Durchfall hat, Erbrechen, ein vorgewölbtes Abdomen, diese Misslaunigkeit, all das ist ja tatsächlich sogar im Kindesalter mittlerweile ein relativ seltenes Bild. Von daher muss man sich davon schlicht und einfach lösen und gerade bei allen möglichen Dingen an eine Zöliakie denken. Bei Kindern sind natürlich Wachstumsstörungen, Gedeihstörungen, Gewichtsverlust ganz klar ganz weit vorne. Pubertätsverzögerung. Aber wir haben eben auch manchmal relativ seltene oder sehr diskrete Symptome, dass die Kinder einfach lustlos sind, nicht mehr so spielen, appetitloser werden. Ich meine, Sie kennen das aus ihrem Alltag ja auch, die Bandbreite der Symptome ist extrem breit und von daher sollte man eben immer doch einfach diese Diagnose im Hinterkopf haben und überlegen, ob zumindest einmal ein Antikörpertest nicht doch auch sinnvoll ist. Und dann wissen wir ja auch, als ganz große Gruppe, dass es viele Risikogruppen gibt, die man einfach gezielt untersuchen sollte, auch ohne, dass Symptome da sind. Und das halte ich für extrem wichtig, dass man da schon ab dem zweiten Lebensjahr einmal jährlich – so haben wir es jetzt ja auch in der Leitlinie festgelegt – oder festgehalten etwa bis zur Einschulung einmal im Jahr die Antikörper untersucht, weil dies das Zeitfenster ist, wo sich die allermeisten Zöliakien entwickeln dürften und man dann eben in den Risikogruppen ganz früh die Betroffenen herausfischt. Ich habe häufig Erwachsene am Telefon, die schon seit Jahren Probleme haben und vielleicht erst mit 40 diagnostiziert werden. Und das ist natürlich dann schade.
Risikogruppen screenen und nicht erst auf Symptome warten
Axel Enninger: Dann sollten wir vielleicht diese Risikogruppen einmal nennen. Also zur Symptomatik kommen wir gleich noch mal, aber ich kann auch schon mal vorwegsagen: Es gibt praktisch kein Kind, das in meine Gastro-Sprechstunde kommt, das keine Zöliakie-Diagnostik bekommt. Es gibt praktisch kein Symptom, das es nicht sein kann und nicht machen kann. Aber kommen wir noch mal zurück zu den Risikogruppen. Da gibt es ja doch ein paar, wo das auch ganz klar und regelmäßig empfohlen wird. Ich mach mal einen Aufschlag und wir können ein bisschen Pingpong spielen. Trisomie 21.
Stephanie Baas: Genau. Dann antworte ich mit Turner-Syndrom.
Axel Enninger: Autoimmunthyreoiditis.
Stephanie Baas: Morbus Basedow.
Axel Enninger: Diabetes mellitus.
Stephanie Baas: Klar. Und natürlich noch vor allem eben auch die große Gruppe der Kinder von Zöliakie betroffenen Eltern, sowohl mütterlicher oder väterlicher Seite. Und da finde ich es auch besonders wichtig, dass man nicht erst auf Symptome wartet. Das erlebe ich häufig, dass die Eltern mich anschreiben und fragen, der Kinderarzt hätte gesagt: ‚Wir warten erst, da ist ja gar nichts.‘ Das halte ich tatsächlich für nicht ganz korrekt da zu warten, bis das Kind Durchfall hat oder nicht mehr richtig in die Pubertät kommt.
Axel Enninger: Gilt ja nicht nur für Kinder, sondern auch für Geschwister.
Stephanie Baas: Natürlich auch für die Geschwister. Da haben Sie noch ein Match gemacht. [lachen beide].
Axel Enninger: Da haben wir die Risikogruppen quasi alle umzingelt. Und da noch mal, um es ganz klar zu betonen: Es macht nur dann Sinn, Zöliakie-Diagnostik zu machen, wenn die Kinder Glutenkontakt haben. Eindeutig: Es bringt nichts Antikörper zu bestimmen, wenn die noch nie in ihrem Leben Kontakt zu Gluten hatten. Das glaube ich, müssen wir von vornherein noch mal festhalten. Ganz wichtig, weil es dann manchmal Familien gibt, die, um es besonders gut zu machen, ihrem Kind anderthalb Jahre gar kein Getreide geben. Und die Kinder haben dann drei Wochen mal ein wenig an der Brezel genagt. Dann macht Zöliakie-Diagnostik noch keinen Sinn, oder?
Stephanie Baas: Nein, das macht natürlich keinen Sinn. Häufiger ist eher noch mal das Thema, dass eine Schwangere, die selbst eine Zöliakie hat, fragt, ab wann kann ich nun beim Kind die Diagnose stellen? Sie würde natürlich gerne so früh wie möglich wissen, ob sie damit zu rechnen hat oder nicht oder wie sie vielleicht auch vorsorgen kann. Da kann man überlegen, ob man bei einem Neugeborenen vielleicht auch schon im Kreißsaal aus dem Nabelschnurblut eine genetische Untersuchung einmal machen lässt, ob das Kind überhaupt genetisch die Möglichkeit hat, eine Zöliakie zu entwickeln, wenn es die entsprechenden genetischen Merkmale hat. Das ist auch so in der neuen Leitlinie festgehalten, dass es gerade für diese Kinder Sinn machen kann, damit sie, wie wir ja eben festgestellt haben, gerade in den ersten Lebensjahren, wo Kinder nicht gerne Blut abgenommen bekommen, dann eben nicht jährlich gepiekst werden müssen. Das kann man einem Teil der Kinder ersparen, wenn man frühzeitig die genetische Untersuchung macht und sieht: Okay, die haben gar nicht die Veranlagung. Das Screening müssen wir gar nicht machen. Das ist zum Beispiel eine Möglichkeit.
Jedes dritte Kind könnte eine Zöliakie entwickeln
Axel Enninger: Vielleicht für die Nicht-Zöliakie-Experten kurz feststellen: Man kann eine Zöliakie nur bekommen, wenn man bestimmte HLA-Marker besitzt. Da reden wir über die HLA-DQ2 und HLA-DQ8. Wenn wir diese Marker haben, können wir eine Zöliakie entwickeln. Wenn wir sie nicht haben, ist es extrem unwahrscheinlich. Es gibt Einzelfälle, aber trotzdem ist es extrem unwahrscheinlich. Aber der Nachweis dieser Marker heißt nicht, dass man die Zöliakie kriegt, sondern nur, dass man sie bekommen kann. In der Leitlinie wird ja auch davon gesprochen, dass es eine Option ist, oder? Es ist keine strenge Sollte-man-machen-Empfehlung.
Stephanie Baas: Nein, das ist eine Option. Genau, es ist ein Angebot an die Eltern, die das wünschen. Häufig kommt diese Frage. Das muss auch nicht aus dem Nabelschnurblut erfolgen, denn die Genetik kann man zu jedem Zeitpunkt machen. Es ist auch häufig sehr schwierig das zu organisieren. Deswegen sage ich den Eltern auch: ‚Es ist jetzt nicht so, dass Sie da Druck machen müssen oder alle Hebel in Bewegung setzen müssen.‘ Aber es ist eben eine Option. Und wenn man vielleicht jetzt als Mutter eine frisch diagnostizierte Zöliakie hat und hat drei Kinder zu Hause und kann einem davon die Blutentnahme ersparen, dann ist das ja schon mal ganz schön.
Axel Enninger: Wobei ich da immer so ein bisschen zwischen Baum und Borke bin, weil ich manchmal das Gefühl habe, der positive Nachweis führt auch dazu, dass die Kinder dann doch manchmal besonders streng angeguckt werden und dass man quasi bei jedem – ich sage es mal salopp – quersitzenden Pups denkt, jetzt fängt die Zöliakie an.
Stephanie Baas: Das muss man ein bisschen abwägen. Manche Eltern sind einfach auch froh, wenn sie es einmal geklärt haben und wissen und gehen damit eigentlich auch ganz gut um. Aber sie haben vollkommen recht. Manchmal muss man das auch bedenken, ob man das wirklich machen will. Und im Grunde rate ich auch nicht explizit dazu, weil die Wahrscheinlichkeit, dass man die Merkmale findet, ja extrem groß ist und dann ist man genauso schlau wie vorher auch. Und da die Untersuchung ja auch Geld kostet, was meistens ja nicht von den Krankenkassen übernommen wird, ist es tatsächlich etwas, das man sich als Eltern wirklich überlegen muss, ob man das wirklich möchte oder ob man das nicht vielleicht erst dann macht, wenn die Diagnostik begonnen werden soll oder man eben in eine Sackgasse gerät und diagnostisch nicht weiterkommt, dass man es dann irgendwann mal mitmacht.
Axel Enninger: Und stimmt die Zahl noch, dass ungefähr 25 % aller Deutschen die HLA-DQ2/DQ8-positiv sind?
Stephanie Baas: Ja, also 25 % sind es etwa bei HLA-DQ2 und noch mal 5 bis 8 Prozent HLA-DQ8, sodass wir bei gut 30 % sind, die die Möglichkeit haben eine Zöliakie zu entwickeln.
Axel Enninger: Okay, also nur um uns die Zahlen noch mal vor Augen zu führen: Jeder Dritte kann theoretisch eine Zöliakie entwickeln, aber nur jeder Hundertste entwickelt sie. Das ungefähr müssen wir im Kopf behalten.
Stephanie Baas: Genau, also von den Merkmalsträgern sind es etwa 2 %. Und das zeigt eben auch, dass der Nachweis der Genetik einfach gar nichts dazu aussagt, ob man nun Zöliakie hat oder nicht.
Axel Enninger: Okay, dann haben wir jetzt die Risikogruppen identifiziert und wir haben festgestellt, dass es praktisch kein Symptom auf dieser Welt gibt, wo man nicht an Zöliakie denken kann – von der späten Pubertät bis zum Haarausfall über die unklare Anämie bis zu jedem Bauchsymptom. Also es gibt praktisch nix. Okay. Und dann denke ich an Zöliakie. Und was mache ich dann?
Transglutaminase-IgA-Antikörper für 10,- Euro – plus einmal Gesamt-IgA
Stephanie Baas: Also im Grunde, vor allem bei Kindern, wird das Erste natürlich immer sein, einmal Blut abzunehmen auf die Transglutaminase-IgA-Antikörper und einmal zumindest ein Gesamt-IgA zu testen, um einen IgA-Mangel auszuschließen. Denn hat man einen IgA-Mangel, vor allem einen absoluten IgA-Mangel, werden auch Transglutaminase-IgA-Antikörper – auch bei einer fulminanten Zöliakie – trotzdem negativ sein. Und dann wird man, wenn man das gar nicht weiß, dass ein IgA-Mangel da ist, ja anhand von einem negativen Transglutaminase-IgA entscheiden, das Kind hat gar keine Zöliakie, aber man übersieht sie eben. Deswegen ist es wichtig, einmal zu wissen: Kann das Kind überhaupt IgA-Antikörper bilden oder nicht? Wenn man dann sieht, es klappt, muss man das bei Folgeuntersuchungen auch nicht mehr mitmachen. Als Antikörpertest ist der auf Transglutaminase-IgA-Antikörper der einzig im Grunde notwendige als erster Screening- oder als Suchtest. Weitere Antikörper sind nicht besonders informativ im Zusatz und erzeugen eigentlich nur enorme Kosten und deswegen beschweren sich eben viele Kollegen: ‚Zöliakie-Diagnostik ist so teuer, das kann ich nicht alle Jahre machen‘, aber es liegt eben daran: Transglutaminase kostet einmal etwa 10,- Euro. Wenn Sie noch zwei Gliadin-Antikörper mit dazu machen, sind es dann noch mal 30,- mit dabei und vielleicht noch Endomysium, dann kommen wir irgendwann auf 100,- Euro. Das ist natürlich viel Geld, aber wir brauchen im Grunde nur den einen Test für 10,- Euro.
Axel Enninger: Okay, also das können wir vielleicht noch mal unterstreichen. Es reicht wirklich Gesamt-IgA und tTG-IgA. Die anderen Antikörper können Sie wirklich den Spezialisten überlassen. Die braucht man als niedergelassener Kinder- und Jugendarzt praktisch nie. Ich glaube das können wir festhalten. Unser Alltagsthema ist ja: Wie hoch ist denn ein ausreichender Ig-A-Wert? Wir wissen ja, dass die IgA-Werte – die Normwerte – im ersten Lebensjahr so langsam ansteigen. Ab wann sagen wir denn: ‚Okay, der hat keinen absoluten IgA-Mangel‘ und ab wann können wir uns denn auf die Antikörper verlassen?
Stephanie Baas: Also, wenn der Wert der Transglutaminase-IgA-Antikörper nun positiv ausfällt, also erhöht ist, dann ist natürlich ganz klar: Wenn das Gesamt-IgA – wird so auch in der Leitlinie festgehalten – unter der Altersnorm ist und man entsprechende Symptome hat, dann muss man ausweichen auf einen IgG-Test, also auf Transglutaminase-IgG oder die deamidierten Gliadinpeptide vom IgG-Typ.
Axel Enninger: Okay, aber so grundsätzlich, sozusagen über den Daumen gepeilt, weil man die Altersnormgrenzen a) nicht im Kopf hat und b) das von Labor zu Labor manchmal ein Problem ist, sage ich immer: Über 0,2 g/l IgA kann man eigentlich schon ganz zufrieden sein und dann kann man sich relativ gut auf die Gewebstransglutaminasen verlassen.
Stephanie Baas: Ich hätte jetzt vielleicht 0,5 g/l gesagt, aber da kommen wir ungefähr in den gleichen Bereich hinein. Ja.
Biopsie-freie Diagnose
Axel Enninger: Ja, okay. Und dann war bis vor einer Weile das Thema: Klar, wir denken ‚Zöliakie‘ und damit qualifiziert sich der Patient für eine Dünndarmbiopsie. Das ist jetzt nicht mehr so.
Stephanie Baas: Das ist ja jetzt schon seit einer ganzen Weile nicht mehr so! Die ESPGHAN, die Europäische Gesellschaft für Kinder-Gastroenterologie, hat ja schon… Ich glaub 2012 etwa war die erste Leitlinie mit Diagnosekriterien, an denen man eine Zöliakie diagnostizieren konnte, ohne dass man zwingend eine Biopsie durchführen muss. Die war tatsächlich ein bisschen unglücklich formuliert, so dass viele Kinderärzte den Eindruck hatten, jeder positive Transglutaminase-IgA-Antikörper qualifiziert dafür, dass man das gleichsetzen kann mit einer Zöliakie. Dem ist leider nicht so. Die Aktualisierung, die vor zwei Jahren von der ESPGHAN herausgekommen ist, hat das glaube ich noch einmal etwas verdeutlicht. Für eine Diagnosestellung ohne Biopsie fordern wir einen Transglutaminase-IgA-Antikörper-Wert über dem Zehnfachen der Norm. Das Problem bei Transglutaminase-IgA-Antikörpern ist ja, dass wir sehr unterschiedliche Anbieter haben. Die haben sehr unterschiedliche Normwerte, manche sind bei 1, manche bei 5, manche bei 7, andere bei 20 und deswegen ist es eben so eine allgemeine Angabe: mehr als das Zehnfache dieser Norm. Und wenn dann eben ein Kind solch einen Transglutaminase-Antikörper zum Beispiel größer 200 aufweist, dann wäre im Grunde der nächste Schritt die Überweisung an den Kinder-Gastroenterologen. Was wir eben auch in der Leitlinie, jetzt auch noch mal in der deutschen Leitlinie so festgehalten haben, dass wir das für sehr wichtig halten: diesen Schritt, die Überweisung zum Kinder-Gastroenterologen, dass der erfahrene Kollege/Kollegin mit den Eltern bespricht, ob eine Biopsie sinnvoll ist oder nicht, ob sie es vielleicht auch wünschen. Manche Eltern wünschen sich auch noch mal den Nachweis über die Histologie. Aber dann würde eben mit dem Kinder-Gastroenterologen besprochen werden, dass man die Biopsie vielleicht auch nicht durchführt. Dann brauchen wir aber eine zweite Blutentnahme. In diesem Fall dann auf die Endomysium-IgA-Antikörper als Bestätigungstest. Ist dieser auch positiv, dann wäre die Zöliakie hinreichend abgeklärt und man könnte dann mit einer glutenfreien Ernährung beginnen.
Zusammenarbeit mit dem Kinder-Gastroenterologen
Axel Enninger: Da werden jetzt die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sagen: ‚Na ja, aber einen Termin beim Kinder-Gastroenterologen ist sehr schwer zu kriegen.‘ Da hat man hat man Mühe und wartet lange oder man hat Familien, die scharren mit den Hufen, die wollen gerne anfangen, wollen gern die Diagnose haben, aber der nächste Termin beim Kinder-Gastroenterologen, bei der Kinder-Gastroenterologin ist in 2 Monaten. Ich kann mal sagen, wie wir das machen. Wir machen es dann so, dass ich tatsächlich dann auch dem niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt sage: ‚Bitte mache eine zweite Blutentnahme!‘ Und ich glaube, das müssen wir noch mal unterstreichen. Wir wollen nicht eine Nachmeldung aus der ersten Blutprobe, sondern wir wollen eine zweite Blutentnahme, um die Verwechslungsgefahr eindeutig auszuschließen. Denn nichts ist blöder, als wenn man aufgrund einer Laborverwechslung einer Familie sagt: ‚Ernähren Sie Ihr Kind mal lebenslang glutenfrei!‘, und dann stimmte die Diagnose nicht. Also, ganz wichtig: zweite Blutentnahme und dann Endomysium-Antikörper. Ich mache es im Stuttgarter Raum so, dass ich den Niedergelassenen dann sage: ‚Okay, dann schickt mir doch die Werte‘, und ich gebe dazu dann eine Stellungnahme ab.
Stephanie Baas: Das ist natürlich nahezu perfekt, weil die Ambulanzen einfach voll sind. Es wäre aus unserer Sicht tatsächlich wünschenswert, dass zumindest so etwas angeboten wird oder doch ein Gesprächstermin eingeschoben werden kann, weil es den Eltern natürlich eine große Schwierigkeit bereitet, ihrem Kind weiter Nudeln zu essen zu geben, wenn sie davon ausgehen können, das schadet ihm. Da muss man sich nur selbst am Ohr zupfen und weiß, man würde das nicht gerne machen. Wenn jetzt so eine Mutter bei mir anruft, dann sage ich ihr, wenn es mit dem Termin zwei Monate dauert und das Kind keine massiven Symptome hat – tausend Mal Durchfall am Tag oder Erbrechen und starker Gewichtsverlust, da ist die Situation natürlich anders – dass sie ihrem Kind auch nicht schadet, sondern dass man eben nach vorne gucken muss und sagen muss: Wir brauchen trotzdem eine abgesicherte Diagnose. Und da ist es eben wichtig, dass wir das wirklich einmal komplett abklären und dass es für das Kind für die nächsten 80 Jahre überhaupt keine Bedeutung hat, jetzt noch mal 8 Wochen lang Gluten zu geben, dass sie das aufrecht erhalten. Aber die Psychologie dahinter ist tatsächlich kompliziert und es wäre wünschenswert, dass möglichst Termine frühzeitiger angeboten werden, wenn schon keine Biopsie notwendig ist und es absehbar ist oder es eben so gehandhabt werden kann. Manchmal sage ich den Eltern auch, dass der Kinderarzt die zweite Blutentnahme macht und sie dann noch mal in ein Nachgespräch in zwei Monaten, aber dann eventuell schon unter glutenfreier Ernährung, hingehen zum Kinder-Gastroenterologen. Im schlimmsten Fall muss man halt noch mal eine Gluten-Belastung machen, wenn es doch irgendwie nicht zusammengepasst hat.
‘Nur auf die Webseite der Deutschen Zöliakie Gesellschaft schauen und alle anderen meiden!‘
Axel Enninger: Also wir machen es tatsächlich so: die zweite Blutentnahme beim Kinder- und Jugendarzt, der schickt mir die Werte. Wenn ich dann denke ja, das passt schon, dann gibt es das Angebot, eine Ernährungsberatung bei uns im Haus durchzuführen. Einfach von erfahrenen Ernährungsberaterinnen, die sich auch mit dem Thema auskennen. Kommen wir vielleicht auch gleich noch mal dazu.
Stephanie Baas: Wichtig!
Axel Enninger: Die Qualifikation von Ernährungsfachkräften bezüglich Zöliakie. Aber vielleicht später. Und dann sagen wir immer: ‚Wenden Sie sich an die Deutsche Zöliakie Gesellschaft. Gucken Sie im Internet nur auf dieser Seite und versuchen Sie alle anderen Seiten zu vermeiden, wo Sie zum Teil unsinnige Dinge finden!‘ Und dann gibt es nach drei Monaten bei uns ein Gespräch, um zu gucken, wie hat denn der Einstieg funktioniert in die glutenfreie Welt? Was für Fragen gibt es noch? Dann müssen wir regelmäßige Kontrolluntersuchungen besprechen. Also das ist, wie wir versuchen es zu organisieren im Zeitalter von Terminknappheit. Jetzt haben wir aber die Situation, die relativ eindeutig ist, Antikörper mehr als zehnfach über der Norm, bestätigte Blutentnahme, Endomysium-Antikörper auch haushoch. Aber nicht immer ist ja die Welt so, sondern wir haben so „halbgare“ Gewebstransglutaminase-Antikörper. Sagen wir, der Normwert ist 20 und wir haben 25er Werte und wir haben ein Kind, das eigentlich ziemlich gesund ist, nur ab und zu mal ein bisschen Bauchzwicken hat. Was mache ich dann mit diesen 25er Werten? Wie wäre Ihr Vorschlag?
Wenn die Werte nicht eindeutig sind
Stephanie Baas: Also ich würde dieses Kind noch nicht biopsieren. Dazu ist dieser Titer sicher zu niedrig und die „Gefahr“ – in Anführungszeichen – wäre mir zu groß, dass ich dieses Kind zu dem Moment biopsiere und noch nichts finde. Da wäre tatsächlich wichtig mit den Eltern zu besprechen, dass es eine Zöliakie im Entstehen sein kann, aber das es im Moment noch nicht klar ist und dass es wichtig ist, zunächst weiter Gluten zu geben und dann eben zum Beispiel in drei bis sechs Monaten eine Verlaufskontrolle zu machen, zu schauen, wo die Reise hingeht. Immer mit dem Hinweis, wenn es ihrem Kind irgendwie schlechter geht, die Symptome massiv werden, es an Gewicht verliert – Erbrechen, Durchfall – es in einen schlechten Zustand kommt, dass man dann eben sehr viel früher zuschlagen muss. Noch einmal Antikörper untersuchen und dann eben auch die Überweisung in die Kinder-Gastroenterologie forcieren. Aber in den allermeisten Fällen hat man tatsächlich Zeit und es passiert nichts in diesen 3 bis 6 Monaten. Man kann sich da auch tatsächlich ein bisschen Zeit lassen, denn je höher nachher die Antikörper sind, umso klarer ist die Aussage. Und wenn wir dann vielleicht nach 6 Monaten bei einem Wert von 70 / 80 wären, dann könnte man, glaube ich, auch mit einem guten Gewissen das Kind zu der Biopsie schicken und sagen: ‚Okay, dann diagnostizieren wir eben auch über den alten Weg mit Histologie und dann ist man auch wieder auf dem rechten Weg.‘
Axel Enninger: Und es gibt ja auch ein paar Kinder, wo sich diese Gewebstransglutaminase-Antikörper, die leicht erhöht sind, wieder verlieren, auch das gibt es ja.
Stephanie Baas: Genau.
Axel Enninger: Gar nicht gesagt, dass jeder da auf dem Weg ist. Das kann schon sein. Manche sind auf dem Weg, eine Zöliakie zu entwickeln, aber bei manchen verschwinden die dann auch erst mal wieder für eine Weile. Auch die Möglichkeit gibt es ja.
Stephanie Baas: Ganz insbesondere bei Diabetes Typ 1, da sehen wir das ganz häufig, dass sie sehr schwankende Antikörper haben im Sinne von so einer Autoimmunreaktion, ohne dass sie eine Zöliakie wirklich manifestiert entwickeln. Und da ist es besonders wichtig, dass man nicht gleich biopsiert, sondern tatsächlich etwas abwarten kann und das ein bisschen beobachtet. Sie sind ja eh meistens engmaschig in der Kontrolle, so dass es da auch nicht so schwierig ist, noch mal zwischenzeitlich Werte zu bekommen.
Axel Enninger: Okay. Das ist jetzt nichts für die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte, aber wenn wir dann biopsieren, ist klar, wir wollen mindestens 5 Gewebeproben aus dem Dünndarm haben. Das ist wichtig für all diejenigen, die das nicht ständig machen. Zwei reichen nicht. Wir wollen 5 und der Pathologe kriegt den Auftrag, eine Marsh-Klassifikation fertigzustellen und sich auch entsprechend festzulegen. Auch das, glaube ich, noch mal die wichtige Nachricht für diejenigen, die auch biopsieren und die nur selten biopsieren. Oder gibt es Neuigkeiten aus der Leitlinie, dass wir das anders wollen?
Stephanie Baas: Nein, ganz im Gegenteil. Also hier ist auf jeden Fall festgelegt: 5 bis 6 Proben, eventuell auch ein bis zwei Proben aus dem Bulbus duodeni, also aus dem Anfangsstück des Duodenums. Manchmal findet man bei Kindern und auch bei Erwachsenen nur dort die Veränderungen. Und dann ist es auch schön, wenn man als Kinder-Gastroenterologe mit dem Pathologen ins Gespräch kommt. Gerade wenn dann der Befund vielleicht nicht so gut passt zu dem, was die Serologie uns erwarten lässt. Da haben eben einige Studien zeigen können, dass die Histologie leider nicht immer so der Goldstandard ist. Insbesondere die Ausrichtung der Probe, dass eine orthograde Schnittführung gegeben ist, das ist extrem wichtig. Also parallel zur Zotte und senkrecht zur Schleimhautoberfläche. Das ist ganz wichtig, um Zottenlänge und Kryptentiefe wirklich beurteilen zu können. Wenn es dann eben nicht zusammenpasst, sollte man auch noch mal mit seinem Pathologen ins Gespräch kommen und nachhaken, ob es im Alltag vielleicht auch mal schräg eingebettet wurde, wodurch die Histologie sehr stark verändert werden kann.
Axel Enninger: Also in der idealen Welt guckt dann der Kinder-Gastroenterologe mit dem Pathologen gemeinsam ins Mikrofon.
Stephanie Baas: Mikrofon. [Lachen zusammen]
Axel Enninger: Mikrofon ist super. Wir gucken nicht ins Mikrofon, sondern wir gucken ins Mikroskop und das tun wir dann gemeinsam. Jetzt klingt das ja alles so easy going und alles wunderbar. Aber es gibt da vielleicht auch ein paar Fallstricke auf dem Weg zur Diagnostik. Da gibt es sicher Dinge, die Sie auch aus Ihren telefonischen Beratungen berichten könnten.
Stuhl-Tests sind extrem unzuverlässig
Stephanie Baas: Als erste Schwierigkeit natürlich: Haben die Kinder vorher überhaupt – wir haben vorhin schon ganz kurz darüber gesprochen – haben Sie genügend Gluten gegessen? Viele Eltern informieren sich übers Internet, über Bekannte auf dem Spielplatz und so weiter. Das Kind hat Probleme und dann kommt zum Beispiel die Aussagen: ‚Versuch doch mal Gluten wegzulassen. Weizen ist ja ein ganz schreckliches Getreide‘ und das ist ja eh zu „verteufeln“ in Anführungszeichen. So etwas kann natürlich die Diagnostik erschweren, weil die Antikörper unter glutenarmer Ernährung zurückgehen. Man findet dann eventuell nichts Richtiges. Dann können auch falsche Tests gemacht werden. Vielfach werden zum Beispiel Stuhl-Antikörper untersucht. Weil die Kinder nicht gepiekst werden sollen, geht man eben auf einen Stuhl-Test. Die Stuhl-Tests sind extrem unzuverlässig und zeigen uns im Grunde nur Hausnummern. Die sollten wirklich nicht durchgeführt werden. Oder man geht überhaupt aus der ganzen Zöliakie-Ecke weg und geht in Richtung Allergie-Diagnostik und macht dort die falschen Tests. Das wären alles Dinge, wo man nachher sagt: ‚Oh Gott, was ist denn hier alles gemacht worden?‘ Bloß nicht das Richtige!
Keine glutenfreie Ernährung, bevor die Diagnostik komplett ist
Axel Enninger: Also können wir vielleicht wirklich festhalten: Es gibt Situationen, da kann man Dinge mal ausprobieren. Ich nenne das Stichwort Laktose-Unverträglichkeit, Laktoseintoleranz. Da ist es kein Fehler, wenn man dem Patienten mal eine Weile die Laktose klaut. Bei Gluten ist das falsch. Wir wollen keine glutenfreie Ernährung, bevor die Diagnostik nicht komplett ist. Zu dem Stuhl-Test sage ich auch gerne etwas: Ich habe manchmal Mütter, die den Tränen nahe sind mit diesem Stuhl-Test und da kann ich immer sagen: ‚Aus meiner Erfahrung, ich mache jetzt 20 Jahre Gastro-Sprechstunde, von denen, die mit dem Stuhl-Test kamen, war noch kein einziger Zöliakie-Patient dabei. Sie haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende doch keine Zöliakie ist.‘ Der Stuhl-Test ist wirklich rausgeworfenes Geld und wir können es vielleicht auch noch mal sagen. Alle IgG-Antikörper, die wir irgendwie bestimmen können, auf irgendwelchen schrägen Laborzetteln, die wollen wir auch nicht.
Stephanie Baas: Die wollen wir definitiv auch nicht. Absolut nicht.
Axel Enninger: Okay, aber dann ist doch immer die Frage, wie viel ist denn ausreichend Gluten? Wie viel muss ich denn meinem Kind geben, dass ich sage: ‚Ja, jetzt sind die Antikörper zuverlässig‘?
Stephanie Baas: Das ist eine schwierige Frage. Die ist natürlich auch altersabhängig zu beantworten. Bei kleinen Kindern bis vier, fünf Jahren etwa 5 g Gluten und dann steigert es sich im Laufe des Lebens und Körperwachstums. Beim Erwachsenen werden etwa so 10 bis 12 g Gluten gefordert. Das entspricht unserer normalen Ernährung. Und um das einordnen zu können: Eine Scheibe Weizenbrot von 40 g entspricht etwa 2,5 g Gluten. Das heißt, bei einem Kleinkind wäre das eine Scheibe Brot und noch eine Portion Nudeln am Mittag, vielleicht noch ein Keks. So kann man das ungefähr einordnen.
Axel Enninger: Also 2 Kinderportionen am Tag. Kann man das so sagen?
Stephanie Baas: Ja.
Axel Enninger: Zwei altersnormale Kinderportionen mit Gluten wäre günstig.
Stephanie Baas: Genau.
Axel Enninger: Okay, dann haben wir die Diagnostik quasi abgeschlossen. Wir haben die Biopsie gemacht oder wir haben eine Biopsie-freie Diagnosestellung gemacht. Wie sollten denn diese Patienten idealerweise dauerbetreut werden?
Antikörperkontrolle im selben Labor
Stephanie Baas: Nun. Wir würden uns natürlich wünschen, das könnten die Kinder-Gastroenterologen machen. Am Anfang ist es sicherlich schön, wenn das passiert, dass sie halbjährlich kontrolliert werden, bis sich die Antikörper normalisiert haben. Das sollte auf jeden Fall, durch wen auch immer, erfolgen. Wichtig ist dabei, dass im Grunde immer das gleiche Labor verwendet wird, was einmal die Antikörper untersucht hat, weil die Werte zwischen verschiedenen Laboren nicht vergleichbar sind. Das heißt einmal Hausarzt oder Kinderarzt und einmal Kinder-Gastroenterologe im Wechsel, das bringt extrem viel Unruhe hinein und ist eher ungünstig. Aber es ist natürlich schön, wenn der Kinder-Gastroenterologe, gerade am Anfang, wenn die Eltern auch noch viele Fragen haben um das gesamte Krankheitsbild zur Verfügung stehen und die beantworten können, weil der niedergelassene Kinderarzt das einfach nicht immer leisten kann, weder vom Wissen noch von der Zeit. Viele kennen sich ganz gut aus, aber vielleicht mit den kleinen Schwierigkeiten dann doch nicht. Das wäre das Ideale. Wenn die Antikörper dann normal sind, also wieder im Normbereich, reichen jährliche Kontrollen aus, bis das Kindesalter verlassen wird. Bei Erwachsenen, wenn alles gut läuft, kann man das auch sicherlich strecken auf etwa alle zwei Jahre. Im Kindesalter und Jugendalter, gerade auch in der Jugend, im Pubertätsalter halten wir es für sehr sinnvoll, das einmal im Jahr zu kontrollieren. Auch um zu zeigen: ‚Du hast eine Erkrankung, die ist ernst zu nehmen, aber es läuft gut‘, und damit die Motivation zu geben: ‚Du machst das alles richtig. Mach weiter so‘, wenn sie normal sind. Und wenn sie es nicht sind, dann rechtzeitig nachforschen zu können. Wo können Fehler aufgetreten sein? Dass sich nicht 5 Jahre lang die Zöliakie reaktiviert.
Am Anfang Nerven bewahren, bei 80 % der Kinder sind die Antikörper nach einem Jahr normal
Axel Enninger: Okay, jetzt haben… so ist meine Erfahrung, dass die meisten Zöliakie-Eltern relativ ehrgeizige Eltern sind. Die wollen es besonders gut machen und die wollen natürlich auch, dass die Antikörper ganz schnell normal sind. Was ist denn so die Normalisierungstendenz? Ich sage jetzt mal, ich oute mich jetzt mal, was ich immer sage und Sie dürfen jetzt sagen, ob ich Unsinn rede oder nicht. Ich sage immer: 80 % der Patienten haben nach einem Jahr normale Antikörper und bei ein paar dauert es aber wirklich lange. Es gibt auch welche, da geht das anderthalb und manchmal auch zwei Jahre.
Stephanie Baas: Absolut. Kann ich nur zustimmen. So grob, sag ich auch immer, ungefähr in einem Jahr. Aber häufig kriege ich Anrufe nach 4 oder 6 Monaten: ‚Oh Gott, die Antikörper sind immer noch erhöht. Mein Arzt sagt, wir haben Diätfehler!‘ Und die Eltern sind ja gerade am Anfang sehr ehrgeizig und versuchen auch alles recht zu machen. Da bekommen sie natürlich einen ziemlichen Schuss vor den Bug, wenn sie dann gesagt bekommen: ‚Du machst das alles nicht richtig, die Antikörper sind immer noch erhöht.‘ Das finde ich immer sehr traurig und versuche dagegen zu argumentieren und sage: ‚Es ist einfach abhängig vom Ausgangswert. Sagen Sie mir mal ehrlich: Geht es Ihrem Kind besser?‘ ‚Ja, dem Kind geht’s prächtig, das ist aktiv, das ist super.‘ ‚Sehen Sie, das ist doch die beste Antwort. Sie machen damit schon wirklich alles richtig. Wir machen noch mal einen Wert in einem halben Jahr und Sie werden sehen, dann sind die Antikörper auch deutlich runter und es geht alles in die richtige Richtung.‘
Axel Enninger: Okay, also am Anfang Nerven bewahren und nicht zu früh diesen wirklich sehr empfindlichen Eltern, die wirklich alles richtig machen wollen, ein schlechtes Gewissen machen. Das dauert tatsächlich einfach eine Weile. Und der vorhin erwähnte Teenie, der regelmäßig seine Antikörperwerte kontrolliert, dazu auch so ein bisschen Erfahrung aus meiner Sprechstunde: Ein Großteil der Jungs, komischerweise – die Mädels sind irgendwie braver, ein Großteil der Jungs macht während der Pubertät irgendwelche Ausflüge in die glutenhaltige Welt. Die kommen am Ende wieder. Die Mütter müssen nicht verzweifelt sein. Das ist wie vieles in der Pubertät. Irgendwann ist wieder fertig. Und da kann man die Diskussion gerne auch an den betreuenden Kinder-Gastroenterologen delegieren. Da habe ich hohe Sympathien zu diesen, meistens ja Jungs, die dann nach dem Handballtraining Pizza essen gehen. Irgendwann hört es auch wieder auf mit der Pizza.
Stephanie Baas: Das wäre natürlich zu wünschen, dass dem dann auch so ist. [Lachen]
Eine Ernährungsfachkraft muss speziell für Zöliakie geschult sein
Axel Enninger: Gut, wir hatten es vorhin schon mal gesagt, dass man manche Details wissen muss und da kommen sicher auch die Ernährungsfachkräfte mit ins Spiel. Nämlich, dass eine gute Beratung bezüglich glutenfreier Ernährung sicher auch voraussetzt, dass eine Ernährungsfachkraft da mit eine Rolle spielt. Das ist glaube ich Konsens, oder?
Stephanie Baas: Absolut. Das ist auch in der Leitlinie jetzt auch noch mal sehr explizit festgelegt worden und dargelegt worden. Es ist leider oft so, dass die Patienten erst einmal zu Ernährungsfachkräften der entsprechenden Krankenkasse geschickt werden, was natürlich einerseits von Seiten der Krankenkasse vielleicht nachvollziehbar ist, auf der anderen Seite ist für solch eine spezialisierte Beratung nicht jede Ernährungsfachkraft ausgebildet, was ja auch kein Fehler ist. Auch bei den Ärzten kennt sich nicht jeder mit Zöliakie aus und kann und muss das auch nicht. Trotzdem ist es für den Patienten nicht gerade sehr schön, wenn er letztlich sehr viel mehr schon selber weiß, was er sich übers Internet angelesen hat. Solch ein Termin bei der Ernährungsfachkraft, auf den vielfach Hoffnung gelegt wird: ‚Okay, jetzt werden wir gerade ganz viel Neues erfahren‘ und dann kommen sie heraus und sagen hinterher: ‚Die sagte mir, ich kann Dinkel essen. Und das stimmt doch gar nicht, Frau Baas.‘ Und nee, das stimmt ja nun wirklich nicht. Ja, das ist natürlich sehr schade. Wir bilden Ernährungsfachkräfte gezielt aus. Wir bieten Schulungen an. Darauf sollte man schon achten, dass man entweder bei uns nachfragt, welche Ernährungsfachkraft von uns im Raum verfügbar wäre, also im Umkreis des Betroffenen. Oder über die Fachgesellschaften kann man Spezialisierungen herausbekommen und eine entsprechend geschulte Ernährungsfachkraft heraussuchen. Wenn das dann eben auch so unterstützt wird bei den Kosten.
Axel Enninger: Eine Frage, die immer an die Ernährungsfachkräfte geht, aber auch häufig an uns Ärzte: Hafer? Geht Hafer immer oder sollte man Hafer am Anfang vielleicht doch nicht… Einen kleinen kurzen Kommentar zu Hafer?
Stephanie Baas: Also glutenfreier Hafer geht im Prinzip. Wir sagen im Grunde, dass die Patienten so lange drauf verzichten sollten, bis sie beschwerdefrei sind und möglichst auch die Antikörper in der Norm angekommen sind. Also ungefähr das erste Jahr nach der Ernährungsumstellung. Und dann kann man im Grunde auch mit glutenfreiem Hafer, das sind diese speziellen Produkte mit speziell angebautem Hafer, auch verwenden und langsam einführen.
Axel Enninger: Also am Anfang möglichst auf Hafer verzichten, Symptome und Antikörper im Blick behalten und sobald die Symptome weg sind und die Antikörper normal sind, dann Hafer geben. Die allermeisten vertragen es. Es gibt Einzelne, die kommen irgendwie nicht gut klar mit Hafer.
Stephanie Baas: Genau. Also ab und zu mal findet man es. Und klar, wenn man jetzt jemanden hat, der anhaltend erhöhte Antikörper hat, dann fragt man natürlich schon auch nach, weil es natürlich auch mal sein kann. Ganz selten habe ich wirklich mal geschildert bekommen, dass richtige Zöliakie-Symptome mit massivem Erbrechen, wie bei einem anderen Diätfehler auch tatsächlich aufgetreten sind. Und da muss man dann eben sagen: ‚Gut, offensichtlich scheint er es nicht zu vertragen.‘
Keine Zöliakie und doch kann Weizen Probleme machen
Axel Enninger: Jetzt hatten Sie ganz am Anfang schon mal in einem Nebensatz über den bösen Weizen gesprochen. Das ist ja so ein bisschen ein, ich sage es jetzt mal gemein, Modethema. Viele, viele Menschen geben an, sie vertragen keinen Weizen und verzichten auf Weizen, weil es ein hochgezüchtetes Produkt ist und essen lieber andere Dinge oder sehen Symptome, die sie an sich beobachten, in Zusammenhang mit Weizen. Stichwort „Weizensensitivität“. Ist das ein Thema, was in der Deutschen Zöliakie Gesellschaft a) diskutiert wird und b) wie wird es denn diskutiert?
Stephanie Baas: Natürlich wird es diskutiert. Es hat jetzt sogar der Bereich Weizensensitivität und Weizenallergie ein eigenes Kapitel in der Leitlinie bekommen. Das zeigt schon, dass da einfach ein gewisser Stellenwert ist. Das Problem mit dieser Erkrankung ist ja, dass wir sie nicht diagnostizieren können, sondern wir müssen sie ja abgrenzen gegenüber einer Zöliakie, möglichst auch einer Weizenallergie, was ja in der Allergiediagnostik nicht immer ganz einfach ist. Und wenn wir dann jemand haben, der sieht, es geht ihm deutlich besser, wenn er Weizen meidet und er hat eben diese Erkrankungen nicht, dann können wir sagen: ‚Okay, du hast vielleicht eine Weizensensitivität.‘ Ich sehe ein bisschen das Problem, dass wenn man sich dann zum Beispiel Ernährungsprotokolle von solchen Personen anschaut, dass sie zum Teil doch sehr kohlenhydratreich essen, morgens ein Brot, mittags ein Brötchen auf die Hand oder schnell irgendein Teilchen, dann noch mal ein bisschen Kekse zwischenrein und abends vielleicht eine Pizza. Diese Überlast an Kohlenhydraten macht sehr vielen Personen einfach zu schaffen, dem Darm zu schaffen, dass er Symptome bekommt, also mit Durchfall, mit Blähungen und so weiter. Wenn die sich beraten lassen und eine deutlich ausgewogenere Ernährung zu sich nehmen, vor allem auch vielleicht wegkommen von vielen Fertigprodukte, von vielen Discounter-Backwaren, die einfach ganz anders hergestellt wurden wie früher Brote, dann merken sie plötzlich: Es geht mir sehr viel besser. Das geht natürlich so ein bisschen in den großen Potpourri der Erkrankungen in Richtung Reizdarm – was wir sehr schwer voneinander trennen können, weil wir für all diese Erkrankungen keinen Biomarker haben, den wir einfach im Blut oder im Stuhl nachweisen könnten.
Traditionelles Brot vom Bäcker mit langer Teigführzeit ist bekömmlicher
Axel Enninger: Okay, also nur noch einmal, um es festzuhalten: Es geht ja häufig nicht unbedingt um den Weizen, sondern es geht um das Produkt, in dem Weizen drin ist und wie das hergestellt wurde. Da gibt es ja ganz gute Untersuchungen dazu, dass eben, wie Sie vorhin schon sagten, traditionell hergestellte Backwaren, die eine lange Teigführzeit haben, deutlich besser verträglich sind als diejenigen Backprodukte, die ganz schnell produziert werden. Deswegen wirklich darauf achten. Es ist nicht der pure Weizen, es ist häufig sozusagen die Herstellung desselben und wie wir dieses Produkt zu uns nehmen. Das ist übrigens häufig auch die Erklärung, warum Patienten sagen: ‚Mit Dinkel geht es mir viel besser als mit Weizen.‘ Wenn Patienten so etwas sagen, dann ist das eine Unterstützung Ihrer Aussage von vorhin, dass eben diese industriell hergestellten Produkte oft ein Problem darstellen, dadurch, dass die Teigführzeiten kürzer waren. Und das ist übrigens auch die Erklärung, warum viele Patienten berichten, dass sie Dinkel relativ gut vertragen, Weizen aber nicht gut vertragen. Am Gluten kann es nicht liegen, denn sowohl Weizen als auch Dinkel enthalten Gluten. Aber Dinkelbrote sind ganz selten Brote, die industriell hergestellt werden, sondern Dinkelbrote werden häufig traditionell beim Bäcker hergestellt, mit langen Teigführzeiten und deswegen auch mit besserer Verträglichkeit. Jetzt könnte man doch aus Sicht der deutschen Zöliakie Gesellschaft sagen: ‚Ist doch super, dass alle über Gluten reden, alle über Weizensensitivität reden.‘ Man geht jetzt ins Restaurant und jeder weiß, was es bedeutet, wenn ich sage: ‚Kann ich bitte ein glutenfreies XY bestellen?‘
Banalisierung des Themas
Stephanie Baas: Das ist tatsächlich auch ein großer Vorteil dieses ganzen Hypes um glutenfreie Ernährung. Tatsächlich hat sich dadurch die Produktvielfalt wirklich massiv gesteigert und eben auch, dass sie verfügbar ist in den Supermärkten. Das ist natürlich ein großes Plus für die Zöliakie-Patienten. Auf der anderen Seite findet gerade in den Medien und auch außerhalb so ein Belächeln dieses Themas statt. ‚Ach du mit deiner Unverträglichkeit und so ein bisschen Brot wird ja nicht schaden. Das hat dir doch jetzt 30 Jahre lang nicht wehgetan. Wie kann das denn auf einmal so ein Problem sein?‘ Das ist natürlich für viele sehr schwer zu ertragen, wenn sie wirklich eine nachgewiesene Zöliakie haben und sich wirklich strikt an die glutenfreie Ernährung halten wollen. Es ist aus den Medien wieder ein bisschen herausgekommen. Vor wenigen Jahren war es wirklich ganz extrem, dass in jeder Kolumne belächelt wurde: ‚Ach, du isst auch glutenfrei.‘ Das ist tatsächlich ein bisschen besser geworden, aber es ist nach wie vor ein gewisses Problem. Und es ist leider immer noch nicht so, dass jeder Restaurantbesitzer weiß, was glutenfrei ist und das dann eben auch in der Küche so umsetzen kann.
Axel Enninger: Also das ist tatsächlich auch das, was ich meinen Patienten immer rate und sag: ‚Wenn Sie Restaurants haben, wo Sie regelmäßig hingehen, dann fühlen Sie denen ruhig einmal auf den Zahn und stellen Sie ein paar Fragen, wie es denn in der Küche zugeht, wie denn da die glutenhaltigen von den glutenfreien Produkten getrennt sind!‘ Sicher, da muss man eben sagen, derjenige / diejenige mit der Glutensensitivität ist nicht so empfindlich. Es gibt tatsächlich eine gewisse Banalisierung des Themas und da kann ich mir schon vorstellen, sind die Zöliakie-Patienten genervt.
Stephanie Baas: Ja, absolut ja.
Axel Enninger: Aber Sie haben vorhin schon erwähnt, es gibt im Supermarkt immer mehr glutenfreie Produkte und das ist ja wunderbar, wenn Sie 20 Jahre zurückdenken. Da gab es eine traurige Nudelsorte. Die sahen zwar aus wie Nudeln, wenn sie aus dem Kochwasser kamen, sahen sie schon nicht mehr so aus und schmecken taten sie schon gar nicht mehr wie Nudeln. Das ist einerseits schön, andererseits findet man auch als glutenfrei markierte Produkte, wo man so ein bisschen stutzt und sagt: ‚Ist das wirklich ein sinnvolles Produkt?‘
Glutenfreie Ernährung ohne Zöliakie ist nicht automatisch gesünder und selbst frisch kochen eine echte Chance
Stephanie Baas: Na gut, jetzt Mineralwasser als glutenfrei zu bezeichnen, das macht natürlich keinen Sinn, weil Mineralwasser nicht viel mehr enthalten kann als nur H2O. Oder zum Beispiel bei Hundefutter. Das macht aus menschlicher Sicht zumindest jetzt keinen großen Sinn und da sollte sich die Lebensmittelindustrie tatsächlich ein bisschen zurückhalten und jetzt nicht alles als irgendwie frei deklarieren. Zumal für viele Leute auch zuckerfrei, fettfrei, ja immer eine gesundheitsfördernde Wirkung impliziert und dann natürlich auch davon ausgegangen wird, dass auch glutenfrei irgendwas Gutes bedeutet und sie dazu viel mehr greifen. Wobei man sagen muss: Diese glutenfreien Ersatzprodukte sind zum Teil sehr viel mehr angereichert mit Fetten, mit Zuckern, mit einfachen Zuckern, um der normalen konventionellen Variante nahe zu kommen. Wir sehen es, dass viele Zöliakie-Patienten ein Problem mit Gewichtszunahme haben, extrem, wenn sie viele Fertigprodukte verwenden. Und das kann letztlich zum Beispiel auch negative Auswirkungen haben in Richtung eines metabolischen Syndroms. Adipositas gehört dazu, aber auch zum Beispiel eine Steatosis hepatis, also dass sich eine Fettleber entwickelt. Da ist auch wieder eine gute Ernährungsberatung gefragt und da brauchen wir sie auch, um zu einer ausgewogenen Ernährung zu raten. Natürlich kann glutenfrei eine echte Chance sein. Wenn man von den Fertigprodukten wegkommt und wirklich anfängt, wieder frisch zu kochen, dann kann glutenfrei eine echte Chance für eine Familie sein. Aber jetzt die glutenhaltige Fertigpizza durch eine glutenfreie zu ersetzen ist zwar gut im Sinne der Zöliakie, aber nicht unbedingt gut im Sinne einer guten Ernährung und eines gesunden Körpers.
Axel Enninger: Und Menschen, die keine Zöliakie haben, die sich glutenfrei ernähren, ernähren sich nicht dadurch gesünder.
Stephanie Baas: Nein, wenn es auch nicht unbedingt einen schweren Schaden macht. Viele Familien fragen natürlich nach. ‚Wir haben ein, zwei Kinder in der Familie und dann ernährt sich die gesamte Familie glutenfrei. Mache ich denn jetzt einen Schaden an dem Kind, das keine Zöliakie hat?‘ Das kommt letztlich immer drauf an. Insgesamt wahrscheinlich eher nicht, aber man muss sich eben schon trotzdem gut ernähren und auf seine Ernährung achten, damit glutenfrei nicht doch schädlich ist. Deswegen glutenfrei einfach als gesund für alle – sicherlich nicht empfehlenswert.
Axel Enninger: Okay, klares Statement noch mal. Frau Baas, gegen Ende unseres Podcasts ist es gute Tradition, dass der Gast sich zwei Dinge wünschen darf, die er unbedingt positiv loswerden möchte. Zwei Dos. Und Sie dürfen auch zwei Dinge loswerden, die Sie entweder nerven oder von denen Sie dringend abraten. Zwei Don‘ts. Sie dürfen entscheiden, ob Sie mit Dos oder Don‘ts anfangen oder das gemischt machen. Ich bin ganz gespannt.
Die Dos und Don’ts von Frau Dr. Baas
Stephanie Baas: Ich fange mit den To-Dos an und die habe ich ja auch schon ein bisschen im Laufe dieser Dreiviertelstunde herausgestellt. Für ganz wichtig halte ich es wirklich, oft genug an die Zöliakie zu denken, zumindest sie mal im Hinterkopf zu haben. Und das zweite Do ist: Lesen Sie ruhig einmal die Leitlinie. Sie ist gut geschrieben, sie ist informativ und sie ist auch, glaube ich, nicht zu lang. Man kann sich ja auch Parts rausnehmen und die Kinderärzte brauchen sicherlich nicht die refraktäre Zöliakie, aber sich die Diagnostik noch einmal zu verinnerlichen: Was mache ich? Was ist sinnvoll und wie kann ich da vielleicht Kosten sparen? Und wie gehe ich verantwortungsvoll mit meinen Patienten um? Das ist sicherlich ein ganz großes „Bitte, bitte do it!“ und ein Don’t ist, das habe ich auch schon betont, nie glutenfreie Ernährung empfehlen, bevor nicht Diagnostik im Sinne einer Zöliakie gemacht wurde. Man macht damit wirklich für die Patienten nichts Gutes, vor allem, wenn es dann den Patienten besser geht. Dann müssen sie sich ja für die Diagnostik wieder glutenhaltig ernähren. Und dieser Rückschritt ist ein wirklicher Rückschritt. Dann wieder die Symptome in Kauf zu nehmen, ist für die Patienten, für die Eltern, oft noch viel schwerer bis gar nicht zu ertragen anstelle von noch mal zwei, drei, vier Wochen damit weiterzumachen. Also wirklich ein ganz großes „Bitte, bitte nicht machen!“ Und, was wir ja auch schon besprochen haben, bitte keine Stuhl-Tests, bitte keine IgG-4-Tests, sondern wirklich sich über die Leitlinie informieren, über Transglutaminase-Antikörper die richtigen Tests in Richtung einer Zöliakie zu machen.
Axel Enninger: Okay, super, vielen, vielen Dank! Ich danke ganz herzlich für das Gespräch. Ich glaube, wir hätten tatsächlich noch eine Stunde weitersprechen können. Vielleicht machen wir noch mal einen Folgetermin. Vielen herzlichen Dank, dass Sie da waren und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank fürs Zuhören. Sie können unser Gespräch nachlesen in dem Transkript. Sie finden den Link zur Leitlinie und auch den Link auf die Homepage der Deutschen Zöliakie Gesellschaft auch in den Shownotes. Und wenn es Ihnen gefallen hat, dann freuen wir uns über eine positive Bewertung und auch über eine Weiterempfehlung. Vielen Dank und auf Wiederhören.
Stephanie Baas: Auf Wiederhören!
Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!